Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
sich in Erwartung des drohenden Streits zusammen. » Es sind bloß ein paar Mädchen aus der Schule.« Und ein Haufen Kerle von der Loyola University, aber das erwähnte ich nicht. Wenn meine Mutter eine Superheldin wäre, wäre sie Panicwoman– in der Lage, ganze Städte allein mit der Kraft ihrer Überreaktionen dem Erdboden gleichzumachen und sich so plötzlich zu verkrampfen, dass sie abhob.
» Du bist noch nicht wieder gesund.«
» Es geht mir gut genug, um zu arbeiten«, hob ich hervor. » Wenn ich eine Achtstundenschicht durchhalten kann, sollten ein paar Stunden auf einer Party in Ordnung gehen.« Ich wollte noch nicht einmal unbedingt hin, aber ich hatte plötzlich eine Vision meines letzten Schuljahrs, der Collegezeit und des Rests meines Lebens: Meine Mutter behütete mich, Colin beobachtete mich durchs Fenster, Verity war nicht mehr da, und ich saß hier im Diner fest, heil und sicher, und langweilte mich zu Tode. Verglichen damit klang ein Abend, an dem ich mich den Fragen meiner Klassenkameradinnen über Verity stellen musste, absolut wunderbar.
» Es ist nicht sicher. Du solltest nicht allein ausgehen.« Sie griff nach oben, um die Bestellzettel zurechtzurücken, die von der Halterung über ihrem Kopf hingen.
» Ich werde nicht allein sein. Ich werde mit Leuten aus der Schule zusammen sein.« Colins Truck parkte auf der anderen Straßenseite, und ich deutete mit einer Kaffeekanne aufs Fenster. » Colin kann mich hin- und zurückbringen.«
Offenbar hatte ich den Verstand verloren.
Meine Mutter dachte darüber nach. Colin war ein netter katholischer Junge, der die Anerkennung meines Onkels genoss und ihre Kochkünste zu schätzen wusste und dessen einziger Daseinszweck darin bestand, mich zu beschützen. » Wird er die ganze Zeit bei dir sein?«
» Nein! Gott, Mom! Ich gehe doch nicht mit einem Bodyguard auf eine Highschool-Party.« Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welche Auswirkungen das auf meine Aussichten gehabt hätte, einen normalen Abend zu verbringen – ganz zu schweigen von seiner Wirkung auf die anderen St.-Brigid-Mädchen. Colin mochte ja eine Nervensäge sein, aber ich war nicht blind. Er würde wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt werden. Ein breitschultriges, gefährlich gut aussehendes, pistolenbewehrtes Lamm. Ich schüttelte den Kopf, um die Vorstellung loszuwerden, wie Colin sich ohne Pistole gegen einige meiner enthemmteren Klassenkameradinnen wehrte.
Einen Moment lang wirkte meine Mutter so, als ob sie ernsthaft darüber nachdachte; sie schloss die Augen und holte tief Luft. Was auch immer sie hinter ihren Lidern sah, ließ sie die Stirn runzeln.
» Nein. Tut mir leid, Mo.«
» Aber…«
» Du bist noch nicht wieder gesund, und du solltest nicht aus so nichtigen Gründen nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs sein. Lad eine Freundin ein«, schlug sie vor. » Ihr könntet euch einen Film ausleihen und Popcorn machen. Das wäre doch lustig.«
» Du kannst mich nicht den Rest meines Lebens zu Hause halten.« Ich umklammerte den rüschenbesetzten Saum meiner Schürze, um nicht zu zittern. Sie zahlte es mir heim, dass ich mich geweigert hatte, meinen Vater zu besuchen, da war ich mir sicher.
» Ich wünschte, das könnte ich«, erwiderte sie heftig. » Du bist alles, was ich habe.«
Ich hatte das Argument schon eine Million Mal gehört– die Fitzgerald-Mädels gegen den Rest der Welt, wir haben nur einander, wir müssen zusammenhalten. Das war die ewige Leier meiner Mutter, seit mein Vater ins Staatsgefängnis abtransportiert worden war. Aber das alte Lied hatte sich mittlerweile abgenutzt, und ich wollte mein eigenes Leben.
» Ich gehe hin.«
» Das tust du nicht.« Ihr Gesicht war blass, ihr Mund verkniffen. » Reiz mich nicht, Mo. Ich habe dich nicht dazu erzogen, so mit mir zu sprechen.«
Die Klingel auf der Theke ertönte.
» Du hast mich dazu erzogen, überhaupt nicht zu sprechen«, zischte ich und riss, erschüttert von meinem Ausbruch, die Kaffeekanne an ihrem orangefarbenen Griff hoch. Am Resopaltresen saß ein Typ in einem eng anliegenden schwarzen T-Shirt, die Baseballmütze tief in die Stirn gezogen; die Speisekarte verdeckte den Rest seines Gesichts. Er hatte wahrscheinlich alles mitgehört.
» Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte ich und versuchte, glaubhaft fröhlich zu klingen. » Der Kirschstreuselkuchen ist heute besonders gut.«
Die Speisekarte sank herab, und Luc grinste zu mir empor. » Sieh mal einer an«, sagte er gedehnt. » Du stehst
Weitere Kostenlose Bücher