Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)

Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)

Titel: Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica O'Rourke
Vom Netzwerk:
aus, und wir begannen zu essen. In der Küche wurde es still, während das Licht des frühen Abends den Raum in bernsteinfarbenes Licht tauchte. Nach ein paar Bissen legte meine Mutter ihr Sandwich hin und verschränkte die Finger.
    » Ich habe heute mit deinem Vater gesprochen.«
    Ich erstarrte mitten in der Handbewegung, mit der ich nach einem Kartoffelchip gegriffen hatte. Wie aus der Ferne hörte ich ein leises Klirren, als Colin sein Glas abstellte, aber ich sah ihn nicht an. Stattdessen starrte ich auf die Hände meiner Mutter, die von all dem heißen Wasser im Diner um die Fingerknöchel gerötet waren; ihre Nägel waren kurz geschnitten und unpoliert. Kein Schmuck bis auf ihren schlichten, goldenen Ehering und den Verlobungsring mit seinem winzigen Diamantsplitter. Mein Vater war schon seit zwölf Jahren fort, aber sie trug sie jeden Tag. Ich stieß meinen Teller von mir– das bisschen Appetit, das ich gehabt hatte, war verschwunden.
    » Er ist sehr erschüttert, Mo, und ganz schrecklich erleichtert, dass es dir gut geht.«
    Ich legte meine Serviette peinlich genau zusammen und strich mit dem Daumennagel eine Falte in den karierten Baumwollstoff. » Toll.«
    » Er würde sich freuen, wenn du ihn besuchen würdest. Dieses Wochenende. Damit er selbst sehen kann, dass es dir gut geht.« Sie drückte die Schultern durch und wandte sich an Colin. » Mein Bruder hat Ihnen unsere Situation sicher erläutert.«
    Er neigte bejahend den Kopf, drehte das Limonadenglas in der Hand und blickte unbehaglich drein. Hatte sie etwa gedacht, dass ich, wenn sie mich in Colins Anwesenheit fragte, beschämt genug sein würde, um ja zu sagen? Da hatte sie falsch gedacht.
    Sie versuchte es noch einmal. » Er vermisst dich. Erinnerst du dich, wie wir immer hingegangen sind und ihn besucht haben?«
    » Das ist ja wohl schwer zu vergessen.« Staatsgefängnisse machen in aller Regel Eindruck auf Achtjährige. Ich brach meinen Kartoffelchip in zwei gezackte Hälften und sagte nichts weiter.
    » Es ist vier Jahre her, dass du ihn zuletzt besucht hast. Er hat dich seitdem nur auf Schulfotos gesehen. Wir sollten hingehen.«
    Ich hielt meinen Ton gerade noch respektvoll– nicht frech, nicht begeistert, so ausdruckslos, wie ich nur konnte. » Nein danke.«
    » Er ist dein Vater! Wie kannst du nur so kalt sein?«
    Ich hatte aufgehört, ihn im Gefängnis zu besuchen, als ich in der Junior Highschool gewesen war. Die anderen Kinder hatten alle über meinen Vater Bescheid gewusst, und sie hatten mir auf eine Million verschiedene Arten das Leben schwer gemacht. Meine Sportuniform hatte die Gewohnheit entwickelt, die Toilette zu verstopfen. Mein Mittagessen verschwand mindestens einmal die Woche aus meinem Spind. Als ich Schülerin des Monats wurde und mein Foto vor dem Büro ausgestellt war, malte irgendjemand immer wieder Gitterstäbe vor mein Gesicht. Eine Zeit lang luden andere Mädchen immer nur Verity ein, bei ihnen zu übernachten, aber nicht mich; sie sagten, sie wollten nicht, dass ihnen etwas gestohlen würde. Verity lehnte jedes Mal ab.
    Mein Vater hatte seine Wahl getroffen, und ich hatte damit leben müssen. Indem ich mich weigerte, ihn im Gefängnis zu besuchen, zahlte ich es ihm sozusagen mit gleicher Münze heim.
    Ich schenkte meiner Mutter den kältesten, ausdruckslosesten Blick, zu dem ich fähig war, obwohl ich darunter kochte. » Entschuldigt ihr mich bitte?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ ich meinen Teller ins Spülbecken fallen und marschierte hinaus. Hinter mir scharrte ein Stuhl über den Boden, und Colins Schritte ertönten schwer auf dem Linoleum. Ich ließ mich auf die Zementstufen fallen und rupfte eine verwelkte Geranie aus dem weiß glasierten Topf zu meinen Füßen. Die Tür öffnete sich hinter mir.
    » Lass mich raten. Ich darf nicht mehr vor meiner eigenen Haustür sitzen? Ich will nicht drinnen sein.«
    » Du willst so einiges nicht«, erwiderte er durch das Fliegengitter. » Beweg dich, sonst bekommst du die Tür ab.«
    Ich rutschte weg, und er drehte seinen Körper seitwärts und öffnete die hauchdünne Fliegengittertür so wenig wie möglich. Nachdem er sich hindurchgezwängt hatte, setzte er sich hin, den Rücken an das weiße Metallgeländer gelehnt.
    » Halt mir keinen Vortrag«, sagte ich und schämte mich für das Zittern in meiner Stimme. » Es ist mir egal, was du denkst.«
    Er zuckte mit den Schultern. » Das hatte ich nicht vor.«
    Er blieb auf seiner Seite der Treppe, beugte sich vor und

Weitere Kostenlose Bücher