Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
unter dem Saum des Tuchs hervor, und ich taumelte vornüber.
Lucs Griff um meinen Arm verstärkte sich. » Jetzt zufrieden?«, fragte er. » Gehen wir.«
Ich schüttelte ihn ab und ging weiter.
Das Laken wies an einigen Stellen rote Flecken auf, und meine Hände ballten sich bei dem Anblick zu Fäusten. Ich kniff die Augen zu und atmete ein, weil ich bereit sein musste, und ich war dumm genug zu glauben, dass mich tatsächlich irgendetwas hierauf vorbereiten konnte.
Ich öffnete die Augen. Das Laken fühlte sich unter meinen Fingern kalt und rau an, als ich es abzog.
Einen Moment lang war es nicht Verity. Das Mädchen auf dem Tisch war zu reglos. Verity war immer in Bewegung– lachend, redend, schwungvoll, strahlend. Das Mädchen auf dem Tisch war so schrecklich, schrecklich still und hatte überhaupt keine Ausstrahlung. Für einen ganz winzigen Augenblick, einen Herzschlag, nicht länger, war es nicht Verity.
Nur, dass sie es doch war.
Sie lag da, bleich wie Wachs, obwohl sie goldbraun von der Sonne aus Louisiana nach Hause zurückgekommen war. Ihre Wimpern wirkten wie dunkle Schlieren. Blut war an ihrem Mundwinkel verschmiert, und drei gezackte Schnitte verunstalteten eine Wange. Ich stöhnte; die Knie gaben unter mir nach.
Luc stand hinter mir, einen Arm sanft um meine Taille gelegt. » Das ist jetzt genug«, sagte er mit rauer Stimme.
Ich beugte mich vor und berührte ihre andere Wange. Sie war glatt, unverletzt, aber die Haut war seltsam bläulich angelaufen. Das Laken glitt tiefer, enthüllte den hässlichen Riss in ihrer Kehle und getrocknetes Blut, das ihr die Haare verklebte. Ich sackte zurück und war plötzlich dankbar für Lucs Anwesenheit.
» Oh Gott«, flüsterte ich, tastete unter dem Laken nach ihrer Hand und war verblüfft, wie schwer sie war. Ihre Nägel waren abgebrochen, ihre Fingerspitzen blutig. Ich hatte noch nie etwas so Eisiges wie ihre Haut berührt, und ich versuchte, ihre Hand in meiner zu wärmen. » Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
Ich versuchte, ihren Arm zurück unter das Laken zu schieben– der Raum war kalt, und es kam mir wichtig vor, zu verhindern, dass sie fror–, aber stattdessen glitt er herab, prallte mit einem dumpfen Poltern gegen den Rand der Trage und baumelte schlaff hin und her. Ich schrie auf; das Geräusch zerriss mich.
Luc drehte mich um und zog mich eng an seine Brust. Aber es war zu spät. Der Anblick ihrer Hand, die Finger gespreizt, als wären sie hilfesuchend ausgestreckt, hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
» Sie haben sie abgeschlachtet«, sagte er in mein Haar; die Worte klangen harsch. » Und du wärst die Nächste gewesen, nur zum Spaß. Du hättest nichts tun können, um das zu verhindern, Mouse. Überhaupt nichts.«
Ich zog mich ein wenig zurück. Sein Arztkittel war von meinen Tränen durchnässt, und ich starrte den Fleck an, grub die Fingernägel in meine gesunde Hand und verließ mich darauf, dass der Schmerz es mir erleichtern würde, mich zu konzentrieren. » Warum sollte irgendjemand so etwas tun?«
» Hast du je eine Katze mit einer Maus gesehen? Sie spielen gern erst einmal eine Weile damit.«
Der Schock legte sich und wich Übelkeit. Ich kämpfte dagegen an, schluckte gegen den säuerlichen Geschmack an, der sich in meinem Mund sammelte. Lucs Gesicht war angespannt; nur ein Muskel an seinem Kiefer zuckte, als er an mir vorbeiblickte. Etwas in seinen Augen ging über die Trauer und den Zorn hinaus, die ich zuvor darin gesehen hatte, eine Art Hoffnungslosigkeit, die mich an den Februar mit seiner endlosen Kälte und seinem nie endenden Grau erinnerte, so, als würde die Sonne niemals zurückkommen.
Ich fühlte mich genauso.
» Wer?«, fragte ich. Das Wort fühlte sich in meinem Mund eisenhart an.
» Niemand, den du kennst. Wie ich schon sagte, es ist besser, wenn du alles vergisst.«
» Ach ja, richtig!«, stieß ich hervor. » Ich werde einfach in mein Leben zurückkehren und meine beste Freundin vergessen, die da drüben auf dem Tisch liegt! Kein Problem!«
Er packte mich bei den Schultern und schüttelte mich, bis mir die Zähne klapperten. » Hier gehen Dinge vor, die du nicht verstehst. Dinge, denen du nicht gewachsen bist. Es ist zu deinem eigenen Besten.«
Das hatte ich schon mehr als einmal gehört, und es war nie wahr. » Das ist mir egal. Erklär’s mir.«
Er lachte mich aus, ein bitteres, uraltes Lachen. Dreckskerl. » Ich kann nicht.«
» Das hat Verity auch gesagt.«
» Natürlich. Sie hat
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