Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
Einen Augenblick später zog er ein Stoffbündel daraus hervor und schüttelte es mit großer Geste aus.
Das Material hatte die Farbe frischer Sahne und glänzte. An den Säumen war mit Platinfäden ein Muster aus ineinandergreifenden Kreisen eingestickt, das mich vage an die Bundesringe erinnerte, die ich mit den Quartoren geschmiedet hatte. Wahrscheinlich war das kein Zufall. » Er ist schön.«
» Das ist er«, sagte er und sah mich direkt an. Mit einer schwungvollen Bewegung legte er mir den Umhang um die Schultern. Der Saum reichte bis auf den Boden. Ich kam mir altmodisch vor, wie eine Schauspielerin in einem Kostümfilm, und war mir des Umhangs zu bewusst, um mich darin wohlzufühlen. Der schwere Stoff glitt mir von den Schultern, und ich versuchte unbeholfen, ihn wieder an die richtige Stelle zu ziehen, ohne ihn zu zerknittern.
» Hier, das löst das Problem«, sagte Luc, zog das Gewand sanft zurück an seinen Platz und bedeckte beide Seiten der goldenen Schließe mit der Handfläche.
Mit einem Pulsieren von Licht verschmolzen die Hälften miteinander, vier ineinandergreifende Kreise, die auf meinem Schlüsselbein ruhten.
» Magie?«, fragte ich, unfähig, meine Verärgerung zu überspielen. » Ihr habt mir einen besonderen Umhang angefertigt, und ich brauche Magie, um ihn tragen zu können? Ich kann mich noch nicht einmal selbst anziehen?«
» Das hat nichts zu besagen. Es ist Tradition, das ist alles. Es kommt nun einmal nicht alle Tage vor, dass jemand wie du einen dieser Umhänge trägt.«
Jemand wie ich. Ich hatte nie darum gebeten, Teil von Lucs Welt zu werden, aber ich konnte ihr nicht entkommen. Die Bindung an Luc, der Bund mit den Quartoren, mein Versprechen an Con und jetzt die Magie, die mich von innen bedrohte … Je mehr ich dagegen ankämpfte, desto gefangener war ich wie ein wildes Tier in einer Schlinge.
Marguerite hakte sich bei mir ein. » Du bist mehr, als ihnen bewusst ist, und du wärst nicht hier, wenn du fehl am Platze wärst. Verhalte dich entsprechend, dann wird alles gut.«
» Du hast mir noch gar nicht erklärt, was wir vorhaben«, sagte ich zu Luc.
Er wandte den Blick ab. » Die Trauerzeit für Evangeline endet heute. Die Quartoren wollen, dass du an der Zeremonie teilnimmst, um allen zu zeigen, wie traurig du bist.«
Ich starrte ihn ungläubig an. » Du hast mich hergebracht, um Schönwetter zu machen?« Ich hatte angenommen, dass die Quartoren mich herbestellt hätten, um die Magie zu reparieren – nicht, um für die Bögen eine Schau abzuziehen. » Ich kann mich doch nicht da hinstellen und um Evangeline trauern.«
» Tu so«, sagte Luc mit Nachdruck und führte uns den grasbewachsenen Pfad entlang. Neben uns loderten blutrote Flammen auf und zeichneten unseren Weg nach. Sie waren mit denen identisch, die Dominic und Marguerite bei der Hütte umgeben hatten. Ich verdrehte den Kopf, um zuzusehen, wie sie erloschen, aber diesmal blieben sie bestehen, ein flackerndes Leuchtzeichen, das sich hinter uns ausbreitete. Vor uns lag eine große Marmorestrade, an deren gegenüberliegendem Ende sich die Quartoren versammelt hatten und sich angeregt miteinander unterhielten. Dominic hob den Kopf und winkte uns heran. Die Muskeln in Lucs Arm spannten sich an. » Sinn und Zweck der Übung ist zu beweisen, dass du auf unserer Seite stehst.«
Das garantierte doch schon der magische Bund.
» Was ist das hier überhaupt für ein Ort?«
Marguerite antwortete: » Die Allée. Sie ist einer unserer drei heiligen Orte. Die anderen sind natürlich der Bindungstempel und der Versammlungssaal, in dem die Quartoren zusammentreten. Die Allée wird für Zeremonien genutzt, bei denen eine Zusammenkunft der gesamten Häuser erforderlich ist. Jede Seite wird von einer anderen Elementarlinie begrenzt, aber der Raum dazwischen ist vollkommen frei von Linien und bildet den neutralen Boden schlechthin.«
» Das Dauphine war neutraler Boden. Das hat mir nicht viel genützt.«
» Jetzt ist es anders«, sagte Luc. » Wir sind aneinander gebunden. Niemand darf hier Magie gegen dich wirken.«
Das beruhigte mich nicht. Ob ich nun an Luc gebunden war oder nicht, die Bögen betrachteten mich als Außenstehende. Nettigkeiten wie Neutralität oder das Unterlassen des Spaltens – des Eindringens in den Verstand eines anderen Bogens – galten nicht für mich. Und öffentlich um die Frau zu trauern, die ich getötet hatte, erschien mir wie ein todsicheres Mittel, das Schicksal herauszufordern, wenn es denn
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