Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
es war ein » Wir sehen uns«, kein » Lebewohl«. Ich kannte den Unterschied.
» Kannst du uns bitte nach Hause bringen?«, fragte ich Luc.
Das tat er wortlos und setzte uns auf dem Parkplatz hinter dem Slice ab.
» Ich hole den Truck«, sagte Colin.
Als wir allein waren, fragte Luc zögerlich: » Dir ist nicht schlecht?«
» Nein.« Jetzt, da die Magie ihren Platz in mir gefunden hatte, zerriss es mich nicht mehr, durchs Dazwischen zu wandern. » Mir geht es gut. Anders, aber gut.«
»› Anders‹ ist etwas untertrieben«, sagte er. » Selbst meine Mutter konnte das sehen.«
Ich warf einen Blick auf die Trümmer des Restaurants. Ich hatte ja vielleicht die Magie wiederhergestellt, aber es blieb noch viel zu tun. » Ein andermal, Luc.«
Er blickte enttäuscht drein, besonders, als Colin zurückkehrte und meine Hand ergriff. Und dann sah er mir herausfordernd in die Augen. » Darauf kannst du Gift nehmen.«
Kapitel 45
Wir sagten nicht viel, als Colin mich in seine Wohnung mitnahm, die er – halb Werkstatt, halb Apartment – in ein altes Lagerhaus hineingebaut hatte. Von der Straße aus war es gerade heruntergekommen genug, um Anonymität zu gewährleisten, ohne Hausbesetzer oder Vandalen anzulocken. Drinnen war es genau das, was ich von Colin zu erwarten gelernt hatte: schnörkellos, aber behaglich. Keine Dekorationsgegenstände, nichts Persönliches bis auf die Bücherregale, die amerikanische Klassiker und viele Kurzgeschichten enthielten. Ein Holzofen stand in einer Ecke, eine Hantelbank neben einem Boxsack in der anderen. Ich achtete darauf, nicht die Tür anzusehen, die ins Schlafzimmer führte. Ich hatte dort nur einmal unruhig geschlafen, während Colin auf dem Sofa gedöst hatte. Mein Magen geriet bei der Erinnerung ins Flattern.
» Hast du Hunger?«, fragte er, als er seine Pistole in dem abschließbaren Schrank verstaute.
» Eigentlich nicht. Aber ich bin müde.«
Er durchquerte den Raum mit auf dem Zementboden widerhallenden Schritten und blieb weniger als dreißig Zentimeter von mir entfernt stehen. » Ich sollte dich nach Hause bringen.«
» Das ist der letzte Ort, an dem ich jetzt sein sollte. Ich muss mir erst noch einfallen lassen, was ich meiner Mutter erzählen soll.«
Er runzelte leicht die Stirn, griff dann nach meinem Schal und rieb die rote Wolle zwischen den Fingern. Mir stockte der Atem. Es war so still im Zimmer, dass ich das Schaben des Stoffs auf seiner Haut hören konnte. Langsam wickelte er mir den Schal vom Hals und streifte mit den Fingerknöcheln meine Kehle. Als er das letzte Stück abgezogen hatte, legte er den Schal auf die Couch und nahm meine behandschuhte Hand.
Mir war bisher noch nie aufgefallen, wie groß seine Hände waren, deren stumpfe, kantige Fingerkuppen meine winzig erscheinen ließen. Er zog mir behutsam die Handschuhe aus und ließ sich nicht zur Eile drängen. Als der zweite abgestreift war, wurde mir schwindlig vor Begehren, das mir an der Rückseite der Beine und am Kreuz entlangprickelte. Colin trat näher heran, strich mit den Händen über die Außenseite meiner Jacke und schob mir die Handschuhe in die Taschen, bevor er sich wieder den Knöpfen widmete.
Ich schloss die Augen. Die Ernsthaftigkeit seines Gesichtsausdrucks überwältigte mich. Ich konnte einen Ruck und das Weggleiten der Knöpfe spüren, als er einen nach dem anderen aufknöpfte. Kühle Luft drang mir unter die Jacke, aber ich fühlte mich immer noch fiebrig. Colin schob mir die Jacke von den Schultern, so dass ihr Gewicht plötzlich verschwand und ich den Eindruck hatte, in der Zeit, die er brauchte, um sie aufs Sofa zu werfen, davonschweben zu können.
Und dann drückte er mich so fest an sich, dass er mir die Luft aus der Lunge presste. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah Colin direkt vor mir, mit dunkelgrauen, andächtigen Augen. Die Form seines Mundes war weich und einladend, und der Kuss fühlte sich so richtig an, dass er wie eine Heimkehr war.
Wir rührten uns lange nicht von der Stelle. Es gab so viel, was ich ihm sagen wollte, aber mir fehlten die Worte, und es spielte eigentlich ohnehin alles keine Rolle. Die Magie, mein Triumph und seine Berührung ließen mich weiter glühen. Ich hatte das Unmögliche vollbracht. Es kam mir nicht mehr verrückt vor zu denken, dass eine Chance bei Colin – eine echte Chance! – auch im Bereich des Möglichen lag.
Jetzt, da ich die Wahrheit über Billy kannte, hatten sich die Machtverhältnisse verschoben. Ich würde Nick
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