Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
den Mund, bevor mir ein Aufschrei entschlüpfen konnte. Ich hörte das Klirren von zerbrechendem Glas und noch mehr dumpfe Schläge und sank in mich zusammen.
Die Magie würde mich nicht retten und auch Colin nicht. Er hatte noch nicht einmal versucht zu fliehen, und einen Moment lang war ich wütend auf ihn. Aber wohin hätte er schon gehen sollen? Tess war hier. Und Colin war ehrenhaft genug zu glauben, dass er dafür bezahlen musste, dass er Billys Vertrauen missbraucht hatte.
Das Problem hatte ich nicht. Ich vertraute Billy nicht, er mir auch nicht, und wenn Colin sich nicht selbst retten wollte, würde ich es tun. Ohne Magie.
Kapitel 46
Ich stieß die Schranktür einen Spaltbreit auf und kroch hinaus, wobei ich mich bemühte, die Geräusche aus dem Nebenzimmer zu ignorieren. Ich musste kühlen Kopf bewahren. Colins Pistolen lagen vorn in dem Schränkchen. Aber er schlief nachts sicher nicht ohne jeden Schutz, ohne eine Waffe, die er schnell und mühelos erreichen konnte. Wo könnte er sie versteckt haben?
Ich huschte durchs Zimmer, riss die Nachttischschublade neben dem Bett auf und fand nichts. Genauso war es mit dem zweiten Nachttisch. Unter dem Bett? Ich ließ mich zu Boden gleiten und kroch darunter, fand dort aber nichts bis auf ein paar Wollmäuse und eine alte Ausgabe von Walden.
Sie musste irgendwo in der Nähe sein. Ich versuchte mir auszumalen, wie Colin hier schlief und von einem Einbrecher geweckt wurde. Als Erstes würde er sich zu Boden werfen, das Bett zwischen sich und die Tür bringen. Ich kniete mich hin und war dankbar für den Teppich, der meine Knie gegen den Zementboden abschirmte. Colin hatte mir einmal erzählt, dass er die Böden selbst gegossen hatte. Er war sehr stolz darauf gewesen – typisch Mann, so begeistert darüber zu sein! Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, dass sie höllisch hart und eiskalt waren.
Es gab keine Stelle, an der man irgendetwas hätte verstecken können. Unter der Matratze lag nichts, und auf dieser Seite gab es keine Möbel bis auf den Nachttisch, den ich schon überprüft hatte. Ich schlüpfte erneut unter das Bett und versuchte zu sehen, ob er eine Pistole an die Unterseite des Kopfteils geklebt hatte, aber auch dort war nichts. Ich arbeitete mich wieder hervor und verschob dabei den Teppich.
Und da lag sie. Kein Wunder, dass er so stolz gewesen war. Ein quadratisches Zementstück war herausgefräst und wieder eingesetzt worden. In die Oberfläche waren Rillen eingemeißelt, so dass man es leichter anheben konnte. Meine Finger scharrten daran herum, und die Platte löste sich mit einem Knirschen. Darunter befand sich eine Höhlung, die eine Pistole und mehrere Patronen enthielt.
Meine Hände zitterten, als ich sie herausholte und das ölige Metall an den Fingerspitzen spürte. Ich hatte keine Ahnung, wie man mit einer Pistole schoss. Ich wusste noch nicht einmal, ob sie geladen war. Ich war Colin damit auf die Nerven gegangen, als wir uns kennengelernt hatten, und hatte ihm gesagt, dass ich doch wohl lernen müsste, mich selbst zu beschützen. Er hatte die Idee beiseitegewischt. Es hätte befriedigender sein sollen, jetzt in meiner Ansicht bestätigt zu werden, aber die Geräusche aus dem Nebenzimmer klangen immer schlimmer – ich hörte Colin stöhnen und husten, ein feuchtes Geräusch, das nichts Gutes verhieß.
Vielleicht funktionierte es wie bei einer Kamera: Ausrichten und schießen. Und vielleicht würde ich ja gar nicht schießen müssen. Ich hoffte wirklich sehr, dass ich nicht würde schießen müssen.
Niemand bemerkte etwas, als ich mich ins Wohnzimmer schlich. Ich packte die Pistole so, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte, und richtete sie auf den bulligeren der beiden Kerle – den, der Colin gerade in die Rippen trat.
» Lasst ihn in Ruhe.«
Meine Stimme klang selbst in meinen eigenen Ohren klein, unbedeutend inmitten all der Gewalt, aber sie reichte aus, die Männer herumfahren zu lassen. Sie starrten mich an. Colin lag mit zerschlagenem Gesicht ausgestreckt am Boden. Aus einer Platzwunde über seinem Auge tropfte Blut, aber trotz allem brachte er es fertig, mich mit einem wütenden Blick zu bedenken.
» Hört sofort auf«, verlangte ich, und wenn ich auch keine Magie heraufbeschwören konnte, stützte ich mich doch auf sie, um zu verhindern, dass mir die Stimme versagte. Die Gegenwart der Magie rief mir ins Gedächtnis, dass ich mehr war, als diese Kerle sahen, mehr, als irgendjemand sah, und das Wissen
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