Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
schaudern, aber ich wollte vor Luc nicht schwach wirken. » Ich muss ihre Mutter anrufen. Geh du schon vor.«
» Wie kommst du dann zurück?«, fragte er. Als ich nicht antwortete, trommelte er mit den Fingern auf dem Treppengeländer herum. » Cujo.«
» Er wird mich nicht verpfeifen.« Wenn er nicht zu wütend war. » Erzählst du mir dann, was sie gesagt haben?«
» Natürlich.« Er trat einen Schritt auf mich zu, und ich wich zurück. » Ein Monat dauert viel länger, als ich es in Erinnerung hatte. Ich habe dich vermisst.«
Ich spürte, wie meine Haut unter seinem Blick heiß wurde, und war zu durcheinander, um zu antworten.
Er lächelte wieder. » À bientôt«, sagte er und war verschwunden.
Während Constance schlief, rief ich ihre Mutter an ihrem Arbeitsplatz an, holte dann tief Luft – sogar mehrfach – und wählte Colins Nummer.
» Warum bist du nicht in der Schule?« Kein Hallo, wie mir auffiel. Kein gutes Zeichen.
» Woher weißt du das?«
» Deine Freundin ist damit zu mir gekommen. Die Überdrehte.«
Ich zog den Reißverschluss des Kapuzenshirts zu, das ich mir von Constance geliehen hatte. Es würde die Blutflecken auf meiner Bluse verdecken, wenn man nicht zu genau hinsah. » Lena.«
» Sie redet viel.«
» Im Vergleich zu dir reden sogar Pantomimen viel.«
Er brummte. » Sie hat deine Tasche vorbeigebracht. Sagte, du wärst abgehauen, und dachte, dass ich vielleicht wüsste, wohin.«
Schlau überlegt von Lena, Colin wissen zu lassen, dass etwas los war, ohne die Schule zu alarmieren. Ich schuldete ihr etwas. Sehr viel. Schon wieder.
» Ich weiß nicht, wohin.« Er klang angespannt, beherrschte sich aber, wenn auch vermutlich nicht mehr lange, falls ich nicht bald mit meiner Erklärung begann.
» Ich bin bei Verity zu Hause. Ihrer kleinen Schwester … ist schlecht geworden. Ich habe sie nach Hause gebracht.« Ich wusste, dass er das Zögern in meiner Antwort bemerken würde, aber ich fühlte mich außerstande, die Worte auszusprechen. Sobald ich es tat, würde alles sich wieder ändern, und es würden mehr Hindernisse zwischen uns stehen, obwohl es doch ohnehin schon zu viele gab. Ich konnte die Entwicklung nicht aufhalten, aber ich wollte sie verzögern, und wenn auch nur für einen Moment.
Er holte Luft, und ich malte mir aus, wie er sich die Stirn rieb und sich wappnete. » Wie?«
» Wie was?«
» Wie seid ihr zu ihr nach Hause gekommen?«, fragte er mit scharfem Unterton. » Denn ich habe dich nicht hingefahren. Du hast keinen Bus genommen. Deine Freundin hätte es gewusst, wenn du mit einer anderen Schülerin mitgefahren wärst. Da deine Brieftasche hier ist, hast du auch kein Taxi genommen. Also muss ich mich fragen, wie du Veritys Schwester allein von der Schule nach Hause bringen konntest.«
Ich schloss die Augen. » Kannst du mich abholen? Bitte?«
Eine Autotür schlug zu, und als ich die Augen öffnete, sah ich, wie Veritys Mutter die Stufen heraufgeeilt kam. » Ich muss Schluss machen.«
» Du hast mir gesagt, es wäre vorbei«, sagte er so leise, dass ich die einzelnen Wörter kaum verstehen konnte.
Ich wollte zu einer Entschuldigung ansetzen, aber er hatte schon aufgelegt.
Kapitel 7
Ich wartete ein paar Augenblicke, bevor ich Mrs. Grey nach oben folgte. » Mo hat gesagt, dass dir schlecht geworden ist«, sagte sie gerade zu Constance, die sich mit blassem Gesicht auf die Ellbogen stützte. » Glaubst du, dass es etwas war, was du gegessen hast?«
Über die Schulter ihrer Mutter hinweg sah Constance mich mit zusammengekniffenen Augen an. Luc hatte recht gehabt – sie erinnerte sich eindeutig. » Hat Mo das gesagt? Nun, sie muss es ja wissen.«
Ich versuchte, mit einem Lachen darüber hinwegzugehen. » Ich traue diesen Frühstücksburritos aus der Cafeteria nicht so ganz über den Weg. Gute Besserung«, fügte ich hinzu. » Ich besuche dich bald.«
Mrs. Grey wandte sich um, aber ich winkte ab. » Ich finde allein nach draußen.«
Sie warf mir einen dankbaren Blick zu, aber Constances Miene war alles andere als wohlwollend.
In meiner Kindheit hatte ich genauso viel Zeit bei Verity zu Hause wie bei mir verbracht. Ich wusste, wie die dritte Treppenstufe knarrte, wenn man darauftrat, und wie glatt sich das abgenutzte Treppengeländer unter meiner Hand anfühlte. Ich kannte den Weg, den die Nachmittagssonne durch die Diele nahm. Jetzt beleuchtete sie das Durcheinander auf dem Dielentisch – einen Stapel ungeöffneter Post, der umzufallen drohte, eine Teetasse,
Weitere Kostenlose Bücher