Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
beschäftigt, Fotos zu machen, aber sicher ist sicher. Sag bitte im Büro Bescheid, wenn unsere Nachzügler auftauchen.«
Ich setzte mich und war mit meinen Gedanken auf dem schwach beleuchteten Flur allein. Hinter mir tönte Musik. Die massiven Eingangstüren verstellten mir den Blick auf den Hof, aber ich wusste, dass Colin dort draußen war. Er war immer da, das Sicherste und Beständigste in meinem Leben. Und doch hatte sich erwiesen, dass ich ihn überhaupt nicht kannte.
» Das finde ich aber gar nicht richtig«, ertönte Lucs Stimme aus der Dunkelheit. Ich zuckte zusammen, sah mich um und entdeckte ihn jenseits der Sicherheitstür, die das Treppenhaus versperrte. Er tippte sanft auf das Vorhängeschloss, und es öffnete sich mit einem Zischen und einem Knacken. Ich sah mit offenem Mund zu, wie er die Tür beiseiteschob, und hörte das Quietschen in der hohen Eingangshalle widerhallen. » Ein hübsches Mädchen, ganz einsam und allein an einem Freitagabend. Das ist wirklich eine Schande.«
» Was machst du hier?«
» Du hast mich versetzt, um allein im Dunkeln zu hocken? Du schmeichelst meinem Ego nicht gerade, Mouse.«
» Ich habe Niobe doch gesagt, dass ich es nicht schaffe. Hat sie dir das etwa nicht ausgerichtet?«
Er lachte leise und setzte sich auf den Tisch vor mir. » Sachte, sachte! Sie hat es mir gesagt.«
» Oh.« Wenn er gewusst hatte, dass ich mich nicht mit ihm treffen konnte, warum war er dann hergekommen? » Stimmt etwas nicht? Mit Constance?«
» Sie ist beim Training. Niobe hat ihrer Mutter erzählt, es sei eine Trauer-Selbsthilfegruppe. Ich dachte, es wäre nett, dir einen Besuch abzustatten.« Er neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte mich. » Was nagt an dir?«
» Nichts.«
» Ist Nichts eins achtzig groß, trägt viel Leinen und glaubt, dass sich alles Böse verscheuchen lässt, indem man eine Pistole schwenkt?«
» Bitte nicht. Nicht heute Abend.«
Er hob die Hände. » Schon gut. Wie fühlst du dich? In magischer Hinsicht, meine ich. Noch mehr Symptome?«
» Eigentlich nicht.«
Er nickte befriedigt und spazierte in der Eingangshalle umher, um die Pokalvitrinen, die Bilder berühmter ehemaliger Schülerinnen und das Porträt des derzeitigen Papstes in Augenschein zu nehmen. Trotz meiner erbärmlichen Laune musste ich lächeln. Luc in meiner Welt zu beobachten war so, als würde man einen Film zum ersten Mal in 3-D sehen. Alles um Luc herum war zweidimensional, während er sich abhob und selbst im schwachen Licht plastisch wirkte.
» Die Musik ist schön«, sagte er über die Schulter und spähte den Korridor zur Cafeteria hinunter. » Warst du schon auf vielen davon?«
» Auf Bällen? Auf einigen. Meine Mutter findet das nicht wirklich gut«, sagte ich und verzog das Gesicht. » Was ist mit dir? Gibt es bei den Bögen Schulbälle? Haben sie überhaupt Schulen?«
» Klar. Natürlich etwas andere als ihr. Man kann neben jemandem aus Sri Lanka sitzen, und der reist dann zum Mittagessen um die halbe Welt und wieder zurück, bevor man auch nur sein Sandwich aufgegessen hat.« Seine Stimme klang seltsam wehmütig.
» Veranstalten sie Bälle?«
Er wandte sich mir wieder zu und spazierte den Gang entlang, als ob er sich nicht die geringsten Sorgen machte, dass Schwester Donna um die Ecke kommen könnte. » Keine Ahnung. Wahrscheinlich schon, aber ich kann es dir nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ich bin nicht zur Schule gegangen.«
» Bist du zu Hause unterrichtet worden?«
» Sozusagen«, erwiderte er. Es gab sehr vieles an Luc, was mir ein Rätsel war, aber in diesem Augenblick sah ich ganz klar, wie er entschlossen seinen Kummer verdrängte und den Kopf in Richtung der Musik neigte. » Das klingt doch, als ob es Spaß macht. Bist du sicher, dass du nicht kurz vorbeischauen möchtest?«
» Wenn ich mein Gesicht da drinnen sehen lasse, ist meine Bewährung offiziell vorüber. Und das nicht im Guten.«
» Dann werden wir hier draußen tanzen müssen«, sagte er, streckte eine Hand aus und ließ den Blick über mich schweifen, während er sich ganz leicht verneigte.
» Luc, ich tanze jetzt nicht.«
» Es ist ganz einfach«, sagte er. » Und du könntest ein bisschen Spaß gebrauchen.« Bevor ich widersprechen konnte, hatte er mich schon vom Stuhl hochgezogen. Mit einem raschen Krümmen seiner Finger ließ er die Musik lauter werden, so dass sie in der Eingangshalle anschwoll und mir unwiderstehlich unter die Haut ging. Um uns herum erschienen winzige Flammen wie
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