Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
deutete auf den Tisch. » Mo, du wirst die Ballbesucher einlassen und die Eintrittskarten entgegennehmen. Du musst die Ausweise der Gäste überprüfen, um festzustellen, ob sie den Namen entsprechen, die uns mitgeteilt worden sind, und sie auf der Liste abhaken. Sobald der Ball begonnen hat, komme ich vorbei, um mich zu vergewissern, dass alle erfasst sind.«
» Verstanden.«
» Lena, du kannst mithelfen, das Lautsprechersystem zu testen. Die ersten Gäste werden sicher bald eintreffen.«
» Bis nachher«, sagte Lena und winkte mir zu.
Ich setzte mich in die leere Eingangshalle und spielte mit einem Bleistift herum. Ein Buch wäre schön gewesen. Oder ein Computerspiel. Oder ein Maniküreset. Ein großer Stapel Hausaufgaben. Alles, was mir hätte helfen können, mir die Zeit zu vertreiben und nicht an Colin zu denken. Es wurde nur unbedeutend einfacher, als nach und nach Pärchen hereinzukommen begannen, die Mädchen in Wolken aus Pailletten und Satin, begleitet von unbeholfen wirkenden Jungen mit Anzughosen und Krawatten. Ich arbeitete so schnell ich konnte. Ich hatte keine Lust auf Gespräche, vor allem nicht, wenn es um das Thema gehen sollte, warum ich hier draußen saß und die Arbeit einer Jüngeren erledigte, während die anderen Zwölftklässlerinnen drinnen waren und zu den Top-40-Hits tanzten, die von der Schulleitung für angemessen gehalten wurden.
Und dann kam, weil mein Tag ja nicht mehr schlimmer werden konnte, auch noch Jill McAllister hereinstolziert. Sie war von ihrem Gefolge und dessen Begleitern umgeben. Jill stand stets im Mittelpunkt einer sorgfältig ausgewählten Gruppe von Mädchen – hübschen, wohlhabenden, beliebten Mädchen –, die Jills Ansehen steigerten, sie aber nicht überstrahlten. Auch heute Abend, in einem schimmernden Goldkleid, das ihre aufgesprühte Bräune unterstrich, mit kunstvoll verwuscheltem blondem Haar, war sie die Sonne, und alle anderen kreisten um sie. Als sie mich hinter dem Tisch erspähte, strahlte sie sogar noch mehr.
» Mo! Bereit zum Feiern? Wir haben schon angefangen!« Sie wirbelte herum und kicherte, als ihr Begleiter sie auffing. Ich schnupperte diskret, konnte aber nichts in ihrem Atem riechen. Sie warf die Eintrittskarten auf den Tisch und musterte mich betont von Kopf bis Fuß. » Schönes Kleid. Hat deine Mutter es ausgesucht?«
Hat dein Zuhälter deines ausgesucht?, hätte ich gern gekontert. Aber ich hatte heute Abend nicht die Energie, mich mit Jill zu befassen. Also beschränkte ich mich darauf, die Ausweise der Jungen besonders gründlich zu prüfen, und winkte alle in die Cafeteria durch. » Ich wünsche euch einen tollen Abend«, murmelte ich.
» Wartet mal.« Jill hob die Hand, und ihre Begleiter blieben nach und nach stehen. » Willst du mir gar nicht gratulieren?« Sie lächelte und zeigte dabei wie ein Pferd zu viele Zähne. Allerdings war ihr Kleid so tief ausgeschnitten, dass ohnehin niemand ihr Gesicht ansah.
Ich seufzte. » Was feiern wir denn?«
» Die NYU ! Ich habe heute meinen Brief bekommen! Du nicht?« Ihre Augen weiteten sich zu einer geheuchelten Entschuldigung, funkelten aber heller als die Pailletten auf ihrem Kleid. » Hab ich ja ganz vergessen … Du hast dich nicht einmal beworben, nicht wahr? Es ist ja vielleicht auch schön für dich, auf eine Universität hier am Ort zu gehen. Hierzubleiben, Zeit mit deiner Familie zu verbringen. Ich bin sicher, dass dein Vater sich sehr darüber freuen würde. Vielleicht ist die NYU nicht die richtige Uni für dich.«
» Ja, in letzter Zeit ist das Niveau dort stark gesunken«, sagte ich und zog die Oberlippe hoch, während ich Jill von oben bis unten musterte. » Sie lassen jedes Miststück zu, wenn es nur schick genug gekleidet ist.«
Ihr Gesicht lief rot an, als sie sich mit baumelnden Ohrringen vorbeugte. » Die NYU ist nicht St. Brigid«, sagte sie. » Das Geld deines Onkels wird dir dort keinen Platz erkaufen. Und in New York spielen seine Beziehungen keine Rolle. Dort interessiert es niemanden, ob er zur Mafia gehört.«
Darauf verließ ich mich ja gerade.
» Meine Damen«, sagte Schwester Donna hinter mir. » Alles in Ordnung?«
» Absolut, Schwester«, säuselte Jill und wich rasch zurück. » Wir wollten gerade hineingehen. Ich will nichts verpassen.«
» Ah ja. Mo? Sind wir fertig?«
Ich warf einen Blick auf das Papier vor mir. » Es fehlen nur noch wenige.«
» Ich nehme die Liste mit und beginne damit, alle aufzurufen. Wahrscheinlich sind sie noch damit
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