Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
ihrem Stehkragenpullover, die Art von Kleidung, die sie zu besonderen Gelegenheiten anzog. » Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?«
» Absolut.« Ich hielt das Gesicht abgewandt, sprach in gleichgültigem Ton und hoffte, dass sie nicht merken würde, dass etwas nicht stimmte. Meine Fähigkeit, überzeugend zu lügen, hatte sich in den letzten paar Monaten sehr verbessert, aber jetzt war ich zu verletzlich, es hinzubekommen. » Gute Fahrt.«
Der fröhliche Tonfall musste übertrieben gewesen sein, denn sie durchquerte das Zimmer und setzte sich neben mich. » Du bist ganz aufgelöst. Ist es wegen dieser Fahrt? Es ist noch nicht zu spät, es dir anders zu überlegen.«
» Es ist nicht die Fahrt«, sagte ich und zeichnete die Handstickerei auf der Steppdecke nach. Die Rückkehr meines Vaters kam mir im Vergleich zu dem, was ich gerade gelesen hatte, einfach vor. » Es ist … kompliziert.«
Sie presste die Lippen aufeinander. Man konnte ihr geradezu dabei zusehen, wie sie den Drang nachzuhaken niederkämpfte, aber dann strich sie mir das Haar aus dem Gesicht und lächelte schwach. » Ich habe Lasagne gemacht«, sagte sie. » Und es steht Waffelteig im Kühlschrank, damit du und Lena morgen früh frische Waffeln machen könnt.«
» Klingt super. Danke«, flüsterte ich.
Sie drückte mir die Hand. » Könntest du mir einen Gefallen tun, während ich weg bin? Die Ersatzteile, um den Computer zu reparieren, sind angekommen, und ich muss die Gehaltsabrechnung machen, wenn ich wieder da bin. Kannst du dich darum kümmern?«
» Klar.« Es würde schön sein zu versuchen, etwas zu reparieren, das ich auch wirklich in Ordnung bringen konnte.
» Danke, Süße. Ich werde Daddy sagen, dass du ihn grüßen lässt.«
» Ich … Klar.« Sie bemühte sich. Das konnte ich auch, zumindest ein wenig. » Wir sehen uns Sonntagabend.«
Sobald ich hörte, wie unser Ford Taurus stotternd ansprang, fuhr ich meinen Computer hoch und googelte » Raymond Gaskill«, aber da war nichts. Ich hatte schon nach Informationen über Colin gesucht, aber selbst als ich Denver und das Jahr aus den Berichten hinzufügte, fand ich nichts. Sie waren alle Geister. Ich tastete nach meinem Handy und wählte Jennys Nummer, wobei mir die Finger von den Tasten abrutschten.
» Warum hast du mir das hier geschickt?«
» Mo.« Ihr Ton war vorsichtig. » Hast du beide Akten gelesen?«
» Ich habe Colins gelesen. Du kennst ihn nicht«, sagte ich mit brechender Stimme.
» Kennst du ihn?«
Die Frage erwischte mich kalt. Kannte ich Colin? Oder hatte ich nur etwas über ihn gewusst, so wie die Leute glaubten, über mich Bescheid zu wissen?
» Colin hat deinen Vater nicht getötet.«
» Vielleicht nicht, aber er ist trotzdem in die Sache verwickelt.«
» Nein, das denke ich nicht. Bis dann.«
Ich warf das Handy auf mein Bett, setzte mich auf den Boden und umklammerte den Papierstapel. Ich musste ihn nicht noch einmal lesen – jedes einzelne Wort hatte sich mir ins Gehirn eingebrannt, und nichts würde es tröstlich daraus entfernen. Alles, was ich getan hatte, war, ein paar Berichte zu lesen. Ich konnte nur vermuten, welchen Schaden es Colin zugefügt hatte, das alles zu durchleben. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen, und ich wischte sie mir mit dem Handballen weg.
Warum hatte Colin mir das hier nicht anvertraut?
Er kannte all meine Geheimnisse, alle dunklen und fürchterlichen Dinge, die ich in den letzten paar Monaten getan oder durchlebt hatte. Er hatte mit angesehen, wie ich um meine beste Freundin getrauert hatte. Er hatte mit angesehen, wie ich mich in die Magie gestürzt und wieder daraus hervorgekämpft hatte. Er hatte mich töten sehen. Und er hatte geschwiegen.
Sein Schweigen war verletzend. Vielleicht war es egoistisch, an meinen eigenen Schmerz statt an Colins zu denken, aber ich verstand es einfach nicht. Er hielt das Wichtigste, was ihm je zugestoßen war, vor mir geheim. Schlimmer noch, er hatte Billy davon erzählt. Obwohl mein Onkel Colins Vergangenheit ausnutzte, um ihn zu erpressen, vertraute er Billy sein Geheimnis an, nicht aber mir.
Er vertraute mir nicht. Er hatte mir nie vertraut und hatte nie vorgehabt, es irgendwann zu tun. Ich hätte mich nicht stärker zum Narren machen können.
Ich hörte die Tür wieder zuschlagen, das Knarren von Colins Schritten auf der untersten Stufe und seine Stimme, die aus dem Wohnzimmer herauftönte: » Deine Freundin ist hier. Kommst du herunter, oder soll ich sie
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