Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
Mürrisch. Ich hatte ihn noch nie so über Marguerite sprechen hören.
» Was glaubst du, was sie damit gemeint hat?«
» Woher soll ich das wissen? Mein Weg war immer vorgezeichnet, Mouse. Während du Addition und Subtraktion gelernt hast, wurde ich in meinem Schicksal unterwiesen. Das war die wichtigste Lektion, die ich je gelernt habe.«
Ich versuchte, mir Luc im Vorschulalter vorzustellen. Er musste dünn gewesen sein, mit hervortretenden Knien und kantigen Ellbogen, Jahre, bevor er die sehnigen Muskelstränge aufgebaut hatte, die ich jetzt sah. Und seine Haare waren sicher ungekämmt gewesen, hatten ihm immer ins Gesicht gehangen und diese Augen verdeckt, die einem den Atem verschlugen. Ich wäre aber jede Wette eingegangen, dass er damals schon das gleiche Auftreten an den Tag gelegt hatte: selbstbewusst bis hin zur Arroganz, mit einem launischen Charme, den er nicht zum Einsatz zu bringen zögerte, wenn er so seinen Willen bekommen konnte– ganz gleich, ob es um Eiscreme oder um ein Mädchen ging.
Ich dachte nicht gern darüber nach, dass Luc andere Mädchen abbekommen hatte. Ich dachte auch nicht gern darüber nach, warum. Ich sperrte diese Gedanken aus und versuchte zu verstehen, was ihn so nervös machte. » Das ist eine ziemlich große Last für ein kleines Kind.«
Er zog eine Schulter hoch und starrte das Bild an. » Du bist damit groß geworden, dass man dir erzählt hat, dass die Welt sich Gottes Plan gemäß entwickelt. Ich dagegen habe immer zu hören bekommen, dass bei allem, was mir je zugestoßen ist, gut oder schlecht, das Schicksal die Hand im Spiel hatte.«
» Und es war überwiegend schlecht, schätze ich?«
Er streckte die Hand mit grün funkelnden Augen aus, berührte eine Locke meines Haars und schlang sie sich um den Finger. » Nicht alles.«
» Luc…«
Er ließ sie los und begann, auf und ab zu gehen. » Und dann kommst du hereinspaziert und glaubst überhaupt nicht an das Schicksal. Du veränderst die Welt, Mouse, und erzählst mir, dass das an deinen Entscheidungen liegt? Das kann man nur schwer schlucken, wenn man sein Leben lang etwas anderes gehört hat, aber ich denke, wir können uns einigen, dass wir in dem Punkt nun einmal nicht einer Meinung sind.«
Das schien eine vernünftige Lösung zu sein, aber Luc wirkte im Moment alles andere als vernünftig: Er wirkte explosiv. Vorsichtig sagte ich: » Ich glaube nicht, dass sie abstreitet, dass es das Schicksal gibt. Sie sagt, dass du dennoch dein eigenes Leben führen kannst. Dass du, solange du irgendwann am richtigen Ort ankommst, den Weg dorthin selbst wählen kannst.«
» Ich habe Freiheit?« Er verzog den Mund, und das Wort klang wie ein Fluch. » Was zur Hölle soll ich damit anfangen?«
» Was immer du willst.« Ich stellte mich ihm in den Weg, als er ums Sofa herumging. » Darum geht es doch. Du musst nicht in jedem einzelnen Augenblick der Erbe sein. Du musst dem nicht dein ganzes Leben widmen.«
» Du weißt nicht, wovon du sprichst.«
» Oh doch, das tue ich. Kennst du mich noch? Das Gefäß?«
Er starrte mich an, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen. » Alles, was ich je getan habe, Mouse, alles… es war Schicksal. Das muss es gewesen sein. Sonst bin ich schuld.«
Was es auch war, das Marguerite ihm zu sagen versucht hatte, er hatte es missverstanden. Ihre Worte hatten eine alte Wunde aufgerissen, die er längst begraben hatte, die aber nur schlecht verheilt war. Und nun fiel es mir zu, sie zu heilen.
Ich berührte ihn an der Hand und fragte in sanftem Ton: » Woran?«
Er zuckte zurück, und die Linien in der Nähe loderten auf und ließen einen Schauer durchs Zimmer laufen. Keramiken und Marmorskulpturen purzelten von den Regalen und zerbarsten im Fallen zu Staub.
» Luc!« Ich streckte die Hand nach ihm aus, aber er schlug sie beiseite. Bilder neigten sich wie betrunken an der Wand, und die Leinwände glommen in den Rahmen wie das Ende einer brennenden Zigarette. Der Geruch von versengtem Stoff und verbranntem Öl lag in der Luft.
» Ich habe es getan. Es ist meine Schuld«, erklärte er. » Alles, und sie wusste es und hat es nie gesagt.«
Mit einem Zischen fingen die Vorhänge Feuer. Flammen züngelten an der schweren Seide empor.
» Hör auf damit! Du brennst noch das ganze Haus nieder!«
» Sie hat mir kein Geschenk gemacht«, sagte er, und sein Gesicht wirkte plötzlich verhärmt und deutlich älter. » Sie hat es mir heimgezahlt.«
Rauchwolken stiegen auf, und das Prasseln des Feuers
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