Der Weg in Die Schatten
Expertin in der Kunst der Selbstverteidigung. Außerdem gibt es ein ausgedehntes elektronisches Sicherheitssystem.
Das Innere des Clubs ähnelt einem im Dunkel der Nacht versunkenen Wald. Der Geruch nach Pinien und Pollen mischt sich mit Tabakaroma und einem animalischen Moschusgeruch. Die einzige Lichtquelle im großen Vorraum sind rote Laternen auf den Tischen und an den Wänden, die wie kleine Feuer flackern. Bilder des Jägers bei der Arbeit Verfolgen, Anschleichen, Springen und Fressen ‐ hängen ebenfalls an den Wänden. Der Fußboden ist dunkel und porös und so angelegt, daß er wie eine Schicht Jahre alter herabgefallener Blätter und Bodendecker aussieht.
Tikki bleibt an der Bar stehen, um sich einen Krug Cidre zu bestellen. Keiner von den im oberen Teil der Stadt so gängigen Aperitifs ist in Fenris Nacht erhältlich. Wanzen und ähnliche Gegenstände sind ebenfalls verboten.
Sie geht zu einer Tür, die in den hinteren Teil des Clubs führt und von einem großen Mann bewacht wird. Das Hinterzimmer ist Geschäften vorbehalten, und sie ist Stammkundin. Der Wächter läßt sie mit einem Nicken passieren. Der Mann, mit dem sie sich treffen will, ist innerhalb der Grenzen von Seattle ein bedeutender Schieber und Vermittler von Jobs und Geschäften aller Art, insbesondere im Bereich Wetwork. Mit vorgebeugten Schultern und gesenktem Kopf sitzt er in einer abgeschirmten Nische, eine brütende Präsenz, die ebenso düster ist wie der Raum. Er trägt einen schwarzen Anzug, ein dunkelgraues Hemd und eine rote Krawatte. Sein Gesicht weist Pockennarben auf. Seine Brauen laufen über dem Nasenrücken zusammen und bilden einen dunklen Gegenpol zum dichten Schnurrbart, der die Oberlippe verdeckt. Seine Hände sind schlank und lang, die Handrücken mit drahtigen schwarzen Haaren bedeckt.
Als Tikki sich ihm gegenüber niederläßt, mustert sie Castillano lediglich kurz, um gleich darauf wieder auf seine zusammengefallenen Hände zu starren, die auf der Tischplatte liegen. Seine Stimme ist ein tiefes heiseres Murmeln. »Du wolltest mich sprechen?«
Tikki nickt. »Ich warte noch immer auf die Bezahlung für meinen letzten Run.«
»Es hat Probleme gegeben.«
»Wie schade. Wo ist mein Geld?«
Castillano wirft ihr einen kurzen Blick zu, seine Miene verrät nichts. Sein Geruch ist ebenfalls so nichtssagend wie das jedes beliebigen anderen wölfischen Gestaltwandlers. »Wirf morgen abend einen Blick in den Briefkasten«, murmelt Castillano schließlich. »Sonst noch was?«
»Jemand hat Geld auf meinen Kopf ausgesetzt.«
»Und?« Die Miene ist unverändert, die Stimme monoton.
»Vielleicht solltest du mir etwas darüber erzählen.«
»Werde deutlicher.«
Sie lehnt sich zurück und legt die Hände auf den Tisch. »Ich habe diesen Dominick Preise erledigt. Jetzt sind seine Konzernleibwächter hinter mir her. Was, zum Teufel, geht vor?«
»Ungewöhnliche Situation.«
»Yeah«, pflichtet ihm Tikki bei. »Echt ungewöhnlich.« In diesem Augenblick kann sie sich nur eine Person vorstellen, deren Position es ihr gestattet, sie als diejenige zu benennen, die Dominick Preise getötet hat, und diese Person sitzt ihr gegenüber in dieser Nische.
»Ein Spezialist für Psychometrie hat Preises Apartment untersucht. Auf die Art ist man auf dich gekommen. Ich kenne nicht alle Einzelheiten.«
»Was ist Psychometrie?«
Castillano blinzelt ihr zu. »Magie.«
Das geht über ihren Horizont. Sie akzeptiert die Worte des Schiebers, aber es wäre ihr fast lieber, wenn sie hören würde, daß Castillano sie gegen Entgelt verkauft habe. Ihre eigene besondere Art von Magie ist alles, was in dieser Hinsicht auf der Welt möglich sein dürfte.
»Wer hat den Preise‐Job angeordnet?«
Castillano bohrt mit einem hölzernen Zahnstocher zwischen den Vorderzähnen und läßt das zerbrochene Stäbchen in den Aschenbecher fallen. »Falsche Frage.«
Tikki zündet sich eine Zigarre an. Bei diesem Mann sind immer Formen und Etikette zu beachten. Niemand marschiert einfach zu Castillano und fängt an, Fragen zu stellen.
Niemand fragt ihn nach der Identität seiner Klienten.
Niemand spricht eine unverhüllte Drohung aus, unter keinen Umständen. Jene, die diese Regeln zu oft verletzen, enden mit dem Gesicht nach unten im Union Waterway treibend. Tikki genießt aufgrund dessen, was sie ist und was sie in der Vergangenheit für den Schieber getan hat, eine gewisse Freiheit, aber selbst sie muß vorsichtig sein. Castillano könnte ein sehr
Weitere Kostenlose Bücher