Der Weg in Die Schatten
Straßenkampf. Ich hasse diese Dinger jedoch und kann mich einfach nicht dazu durchringen.) Emily Entropy ist auf der Straße bereits eine Legende. Ihre Heldentaten werden im ganzen Plex freudig herumerzählt, wobei sie eine Mutation wie bei einem genetischen Experiment durchmachen, bis aus der ursprünglichen Brillanz und Cleverness ein alttestamentarisches Wunder geworden ist. Emily findet das endlos amüsant.
Über ihre Vergangenheit kursieren ebenfalls Geschichten.
Die bekannteste ist die, daß sie von einem der Megakonzerne durch das Massachusetts Institute of Technology and Magic geschleust wurde und dann verschwunden ist. Sich einfach verdünnisiert hat. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich weiß, daß sie mindestens drei SINs hat und mit keiner davon auf die Welt gekommen ist. (Das amüsiert mich, besonders deswegen, weil ich überhaupt keine habe.) Wenn ich ihr über diese Dinge Fragen stelle, lacht sie nur. Ich vermute, jeder braucht seine Geheimnisse. Ich habe ihr zum Beispiel nie erzählt, daß ich in Wirklichkeit Herbert Bunn heiße.
Wie Sie vielleicht erraten haben, bin ich schwer verliebt in Emily. Warum ist sie mit mir zusammen? Ich weiß es nicht wirklich, aber ich habe immer angenommen, daß der Grund dafür irgendeine verdrehte Form des Mutterinstinkts ist.
Schließlich betrachtet sie mich auf der Straße als hoffnungslosen Fall. Mir wäre es lieber, wenn ich glauben könnte, ihre Gefühle seien darauf zurückzuführen, daß ich einer der besten Decker überhaupt bin, aber Emily ist durch solche Dinge nicht zu beeindrucken, und ich fürchte, Freud und ich haben recht.
Ich hörte etwas, ein unendlich leises Geräusch, das aus der Schwärze der Straße hinter uns kam. »Emily«, flüsterte ich.
»Was war das?«
»Was war was, Grimley?« sagte sie, während sie vergeblich versuchte, ein wahres Monster von einer Küchenschabe zu zertreten.
»Psst!« zischte ich. »Da ist etwas hinter uns.«
Emily blieb stehen. Sie stand absolut reglos da und konzentrierte sich mit gefurchter Stirn. Schließlich sagte sie,
»Ich hör nichts, Jack«, und ging weiter.
»Em!« sagte ich ungehalten. Da war es schon wieder, das leiseste Rascheln in der Dunkelheit, das man sich vorstellen kann.
»Em, hör doch!«
Sie blieb stehen, und der Haltung ihres Körpers konnte ich entnehmen, daß sie langsam ärgerlich wurde. Wissen Sie, seitdem ich diesen Job übernommen hatte, war mir jemand gefolgt. Zumindest hatte ich das Gefühl. Emily ist der Ansicht, daß ich vom Lesen zu vieler Gespenstergeschichten eine übermäßig entwickelte Phantasie habe. »Ich werd dir mal was sagen, Jack. Es ist Zeit, daß ich mir deinen schwarzen Mann mal vornehme.« Sie ging an mir vorbei und strebte auf die düstere Einmündung der Gasse hinter uns zu.
»Emily!« rief ich. »Nicht, Em, warte doch!« Ich rannte hinter ihr her, aber sie war bereits in der Dunkelheit verschwunden.
Ich zog meine Klinge und jagte hinter ihr her. Sechs der größten, häßlichsten und unhygienisch aussehendsten Kanalratten des Plex kamen aus der Gasse geschossen, mir geradewegs vor die Füße. Ich war auf der anderen Straßenseite, bevor ich überhaupt wußte, was los war.
Emily kam schwankend aus der Gasse und lachte so heftig, daß sie kaum gehen konnte. »Paß auf, Grimley«, japste sie, wobei sie nach meinem Arm griff, um sich zu stützen, »ich glaub, die haben einen Kontrakt auf dich abgeschlossen!«
Ich war zwar froh, eine andauernde Quelle der Belustigung zu sein, aber dennoch davon überzeugt, daß es nicht nur Ratten gewesen waren, die ich hinter uns gehört hatte. Den Rest unseres Weges sah ich immer wieder über die Schulter.
Genau das tat ich gerade, als ich vor meinem Apartment in ein tiefes Schlagloch trat und beinahe hingefallen wäre. Emily hielt mich fest. »Äh, wir sind da«, sagte ich geistreich. Sie lächelte zu mir auf. »Das hab ich bemerkt, Grimley.«
Meine Bude war dunkel, wie gewöhnlich. Ich drehte den Schalter an der Wand und flutete den Raum mit simuliertem Gaslicht. Sein warmer orangegelber Schein umschmeichelte Emilys dunkle Haut. Meine Katze Goldregen kam hinter einem Bücherregal hervor und strich mir um die Füße wie ein kleiner schwarzer Schatten.
»Haarknäuel!« rief Emily und griff sich Goldregen auf höchst unwürdige Art und Weise. Die Katze verengte die Augen zu schmalen goldenen Schlitzen, schnurrte aber friedlich. Meine Ratte Lucy stellte sich derweil auf die Hinterpfoten und quiekte ungeduldig.
Lucy
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