Der Weg in Die Schatten
für die Tanzerei elektronisch aufgepeppt hatte. Widerwillig wandte ich mich ab und ging wie zufällig zur Bar. Sich Zeit lassend, schlenderte Andrea Silvereyes zu mir herüber. Sie war groß, üppig und hübsch, wie eine viktorianische Kamee. Wie ich trug sie eine schwarze Sonnenbrille.
»Hoi, Jack«, sagte sie lächelnd. »Bist du geschäftlich hier oder zum Vergnügen?«
Ich nahm ihre Hand von der Bar und küßte sie. »Dich zu sehen ist immer ein Vergnügen, meine Liebe«, sagte ich, »aber unglücklicherweise bin ich hier, um mich mit einem gewissen Mr. Johnson zu treffen.«
Sie sah mich über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an, sah mich mit jenen beunruhigenden Silberaugen an, die der Grund für ihren Namen sind. Jene ausdruckslosen metallischen Augäpfel ohne Iris und Pupille fixierten mich mit einer Intensität, bei der mir unbehaglich wurde. »Ich habe ihn gesehen und ein ganz schlechtes Gefühl, Jack. Hast du deine Leibwächterin heute abend dabei?«
»Ja«, sagte ich mit unbedingtem Selbstvertrauen, obwohl ich sie noch nicht entdeckt hatte.
»Gut«, sagte Andrea knapp und schob sich die Sonnenbrille wieder über die Augen. Ich war ein klein wenig erleichtert.
Niemand weiß genau, wozu diese Augen gut sind. Es heißt, sie hätte sie in einem chinesischen Unterweltlabor bekommen, und sie seien speziell für sie konstruiert worden. Ich habe gehört, daß sie alles mögliche leisten, angefangen beim Abschießen von Laserstrahlen bis zum Durch‐die‐Wände-sehen. (Glauben Sie aber ja nicht alles, was Sie auf der Straße hören. Ich verspeise weder Kinder, noch trinke ich Blut, und ich bewahre auch nicht die mumifizierte Leiche meiner Mutter im Wäscheschrank auf.) Jedenfalls glaube ich kein Wort davon. Ich glaube, diese Silberaugen sind etwas unendlich viel Exotischeres und Subtileres.
Andrea brachte mir meinen üblichen Drink, Birnenbrandy in einem großen Schwenker. Sie winkte ab, als ich nach meinem Kredstab griff. »Geht heute abend alles aufs Haus, Chummer«, sagte sie mit einem rätselhaften Lächeln. An dieser Dame ist mit Sicherheit mehr dran, als einem ins Auge fällt.
Ich schlenderte durch Rauch und Qualm und machte schließlich Mr. Johnson aus. Es war kein Wunder, daß Andrea ihn so leicht erkannt hatte. Er wirkte wie ein Geier in einem Kanarienvogelkäfig. Sein langweiliger blauer Nadelstreifenanzug und das glatt zurückgekämmte Haar riefen bei einigen jüngeren Deckern lautes Lachen hervor. Sie waren zu unerfahren, um sich klarzumachen, wie gefährlich auch noch die rangniedrigste Konzerndrohne sein kann. Er sah so ölig aus wie eine eingefettete Kanalratte.
Plötzlich nervös, sah ich mich nach meiner Rückendeckung um. Ich entdeckte sie im Spielzimmer, wo sie mit einem jugendlichen Ork würfelte. Einzigartige Emily, dachte ich. Sie sah mich mit belustigt hochgezogenen Brauen an. Wahrscheinlich hatte sie mich schon in dem Augenblick entdeckt, als ich durch die Tür gekommen war. Als sie etwas zu dem monströsen Jugendlichen sagte, lachte er heiser. Sie schlug ihm auf die Schulter und kam in meine Richtung geschlendert. Etwas erleichtert steuerte ich auf den Pinkel zu. Als er kurz weg sah, glitt ich geräuschlos auf den freien Stuhl ihm gegenüber. Er drehte sich wieder um und war so überrascht, mich zu sehen, daß er seinen Drink verschüttete. Ich hatte den gewünschten Effekt erzielt.
»An … Mr. Ripper?« sagte er, während er synthetischen Whiskey aufwischte.
Ich nickte und nippte an meinem Brandy. Ein scheußliches Zeug, aus Sojabohnen gebraut.
Er bedachte mich mit einem breiten Lächeln, das ebenso falsch war wie die Zähne, die er mir dabei zeigte. »Wie Sie wissen, vertrete ich Union Oil.« Ganz recht, Sir, dachte ich, und ich bin der Präsident von Fuji. Erkennen Sie mich nicht?
»Ja«, sagte ich.
»Sie sind über Ihre Aufgabe im Bilde?«
»Ich soll eine Personalakte von Natural Vat besorgen. Wessen Akte, ist mir bislang noch verborgen geblieben.«
Er zog eine zerknitterte Geschäftskarte aus der Westentasche.
Die Karte stammte von einem Ramschladen im West End, aber auf die Rückseite war in spinneriger Handschrift ein Name geschrieben: Nadia Mirin. Er rieb sich die spitze Nase und produzierte wieder sein süßliches Lächeln. »Wissen Sie, sie ist mit dem Sohn von einem unserer höhergestellten Execs verlobt, und der würde gern mehr über sie wissen als ihre Schuhgröße. Der Vater des jungen Mannes ist …«
Meine Aufmerksamkeit löste sich von
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