Der Weg in Die Schatten
leichenblassen Haut pulsierten rote Adern. Mit einem Knurren stieß ich ihm die Seziernadel durch die Hand.
Sein Griff lockerte sich, und ich strampelte mich frei. Er packte meinen linken Arm und verdrehte ihn. Es gelang mir, meine Tasche festzuhalten, aber in ein oder zwei Sekunden würde er mir den Arm gebrochen haben.
Er war viel zu langsam. Mein rechter Arm schlug mit dem Skalpell zu und schnitt ihm die Kehle bis zum Rückgrat durch.
Er starrte mich an, während sein Blut über meine Kleider spritzte, die glücklicherweise nicht meine echten waren. Mit einem unappetitlichen Gurgeln fiel er wie ein Sack zu Boden.
Bei der Vorstellung, wie die Datensklaven wohl auf säuberlich verstümmeltes Ice reagieren würden, hätte ich mich gern seiner inneren Organe angenommen. Unglücklicherweise hatte ich nicht die Zeit dazu. Über die ›Leiche‹ steigend, betrat ich den Raum.
Er war riesig, anscheinend eine Art großer Ballsaal. Der Boden bestand aus sehr schönen dunklen polierten Holzfliesen, die zu einem kunstvollen Spiralmosaik zusammengesetzt waren. Ein Kristallüster von gewaltigen Ausmaßen hing hoch über dem Tanzboden. Er reflektierte das Licht Hunderter von Kerzen, die jede Ecke des Raums beleuchteten, und funkelte in tausend Farben. Jedes freie Fleckchen an den Wänden war mit Porträts behängt. Sie waren in verschiedenen Stilrichtungen gemalt, die so unterschiedlich waren wie die Personen, die sie zeigten. Ich lächelte, als ich das Porträt eines, wie es schien, eitlen und arroganten jungen Spaniers betrachtete. Direkt daneben hing ein leuchtendes elisabethanisches Porträt einer hübschen älteren Frau mit umwerfend blauen Augen. Ich lachte über eine frühe mittelalterliche Zeichnung in matten Farben, bei der die Proportionen nicht stimmten. Das Bild zeigte einen ernsten jungen Burschen, der die Welt über den Rand einer unglaublich großen Nase betrachtete. Ich hätte stundenlang hierbleiben und diese Bilder betrachten können. Statt dessen startete ich mit einigem Bedauern eine rasche Suche nach Nadia.
Und da hing sie auch schon, eine wunderschöne Frau mit smaragdgrünen Augen. Ihr Porträt war im Stil Botticellis gemalt, der schon immer einer meiner Favoriten war. Sie trug ein tiefgrünes Samtkleid nach dem Vorbild der späten italienischen Renaissance, der ihr ausgezeichnet stand. Ich nahm das in feinem Goldfiligran gerahmte Bild von der Wand ab. Grüne Zeichen huschten über ihr Gesicht und sprangen in meine Tasche wie ein Heuschreckenschwarm, als ich die Datei kopierte. Schnell war ich fertig, hängte das Gemälde wieder an seinen Platz und begann meine Flucht zu planen.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Porky hat wieder zugeschlagen. Zwischen den Porträts zweier spießig aussehender alter Männer war ein offenes Fenster, dessen Eisengitter anscheinend in einem Anfall von Panik herausgerissen worden war. Ich lugte hinaus und sah, daß weniger als einen Meter vom Fenster entfernt ein Abflußrohr an der Wand nach unten führte. Vor Freude über mein Glück lachte ich laut auf. Ich hatte mir den Job schwieriger vorgestellt. Mit Leichtigkeit rutschte ich am Abflußrohr nach unten und sprang die letzten vier Meter in den Garten an der Seite des Hauses. Nachdem ich die Krokusse und Gladiolen hinter mir gelassen hatte, erreichte ich den schmiedeeisernen Zaun, schnitt ein Loch hinein und kroch hindurch auf die Gasse. Als ich mich noch einmal umsah, glaubte ich einen Augenblick lang die Terrier hinter einem großen Fenster zu sehen, wo sie für mich unhörbar bellten. Zu spät, ihr kleinen Köter. Ich stolzierte über das Pflaster und genoß vor dem Ausstöpseln noch einen Augenblick meinen Erfolg.
Das war ein fataler Fehler.
Ich hörte sie nicht kommen, weil sie zunächst kein Geräusch machte. Aber ich spürte sie in meinen Eingeweiden und fuhr herum. Rumpelnd jagte sie auf mich zu, eine neapolitanische Leichenkutsche, die von sechs wiehernden Rappen gezogen wurde. Ich sah alles mit entsetzlicher Deutlichkeit. Der Kutscher lächelte zu mir herab, eine Visage direkt aus der Hölle. Er hatte Reihen um Reihen langer, nadelspitzer Zähne, und die totengraue Haut an seinem Schädel spannte sich, als sich sein Mund zu einem giftigen Grinsen teilte. Seine Augen waren schwarz und eingesunken und glitzerten feucht, und aus ihren Tiefen schossen Nadeln höllischen roten Lichts. Die Pferde waren monströs, ihr Körperbau sonderbar und mißgestaltet, von grotesken Muskelpartien und krummen Sehnen
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