Der Weg in Die Schatten
kleiner als Emily. Ihr Kleid ist makellos und klassisch wie bei einer hochrangigen Exec. Ob Konzern‐, Straßen‐ oder Stammesetikette, sie beherrscht sie alle perfekt.
Sie kann praktisch jeden dazu bringen, ihr vorbehaltlos zu vertrauen. Sie ist eine Spezialistin. Wenn Großwildjäger wie ich ihre Beute im Triumphzug nach Hause schleifen, um sie anschließend voller Verwunderung anzustarren, ist sie diejenige, die gerufen wird. Sie hat sich auf Untersuchung spezialisiert und kehrt auch bei den glattesten Dateien noch das Innerste nach außen. Sie entdeckt Dinge, die zu suchen uns nicht einmal im Traum einfallen würde. Außerdem ist sie Emilys Schwester. Diese Tatsache amüsiert mich maßlos.
Lächelnd sah ich Miss Elizabeth an, die mit anklagenden blauen Augen auf den Schirm starrte. Die Tatsache, daß Miss Elizabeth mit Erik der Maschine, dem größten und am schwersten verchromten Samurai im ganzen Plex, zusammen ist, gehört zu den wenigen Dingen, die mich noch mehr amüsieren.
Sie war vielleicht zum hundertsten Mal in dieser Nacht am Ende der Datei angelangt. Sie sah sich drei einzelne Programmteile an, die in einer Endlosschleife gefangen waren.
Miss Elizabeth schnitt eine Grimasse.
»Was soll das sein, Grimley? Es ist reiner Unsinn. Sieht fast so aus wie winzige Brocken Konzern‐Ice.«
Ich lächelte und gab ihr ein Mineralwasser. »Trophäen, Elizabeth.«
Sie sah mich streng an. »Was hast du genommen, Jack?«
»Na was wohl, El Toros Ohren und Schwanz, Señorita.« Ich grinste sie unschuldig an.
Sie warf mir eine Erdnuß an den Kopf. »Du bist vielleicht verdreht!« Kopfschüttelnd ging Miss Elizabeth wieder an den Anfang der Datei zurück.
Da ich wußte, daß ich ihr bei der Arbeit keine Hilfe sein konnte, zog ich mich mit einem Buch von Rudyard Kipling in meinen Lehnstuhl zurück. Goldregen sprang auf meinen Schoß und rollte sich schnurrend zusammen. Als ich Das Dschungelbuch zur Hälfte gelesen hatte, döste ich ein.
»Da ist es!« rief sie. »Jawoll!«
Meine Augenlider flatterten. Ich ließ das Buch fallen, und Goldregen schoß wie eine pelzige Rakete von meinem Schoß.
»Was dann, Verehrteste?«
»Sieh es dir an!« schrie Miss Elizabeth. »Siehst du es? Da!«
Ich betrachtete den Schirm über ihre Schulter. Ja, ich sah es plötzlich so klar wie der lichte Tag. Ein kleiner Sprung in der Panzerung, ein winziger verräterischer Hinweis. Ich sah sie ungläubig an. »Du glaubst doch nicht … Oder doch?«
»Wer sonst?« sagte sie beinahe ungehalten. »Wer sonst würde es so aufgezogen haben?« Sie sondierte den kleinen Abschnitt vorsichtig, fast ehrerbietig. Die Minuten, die verstrichen, kamen mir wie Stunden vor. Obwohl es kühl im Zimmer war, lief mir der Schweiß an den Schläfen herunter.
Dann hatte sie ihn plötzlich gefunden. Den ›Verschluß‹ des Programms, barock und schön, der seine Signatur war.
Wir sahen einander an und grinsten. »Mycroft!«
Ich lachte entzückt und ungläubig. Mycroft. Die unerreichte Deckerlegende, die Leute wie mich und Valerie Walküre wie zwei Porky Prynes aussehen läßt. Diese Nadia Mirin mußte eine bedeutende Dame für Mycroft sein, wenn er ihre Datei erstellt hatte. Ich wollte lieber gar nicht erst daran denken, was das gekostet haben mußte.
Ich zitterte vor Aufregung. Es war so, als würde man die Spinnweben von einem Gemälde wischen, das man auf dem Speicher gefunden hat, und einen Rembrandt entdecken. »Laß sie uns knacken!« sagte ich albern grinsend. »Laß sie uns auseinandernehmen!«
»Nicht jetzt, Jack. Du brauchst etwas, womit du sie hinhalten kannst. Und das Ding knackst du auch alleine.« Sie lächelte bezaubernd. »Für Informationen wie diese kannst du sie bluten lassen bis zum Gehtnichtmehr. Kaufst du mir einen Burger, Grimley?«
»Natürlich.« Ich stand auf, reckte mich und griff nach meinem Spazierstock, als es an der Tür klopfte. Ich umklammerte das schwere Holz und ging bedächtig zur Tür.
Schließlich kann man nie wissen. Tapfer riß ich die Tür auf, um Emily auf der Schwelle stehen zu sehen, die mich mit großen ernsten Augen musterte. Ich war ziemlich überrascht, als sie meine Hand nahm.
»Jack, ich muß mit dir reden. Ich meine, wir müssen miteinander reden. Ich muß dir etwas sagen.« Sie sah über meine Schulter und lächelte ein wenig traurig. »Hi, Beth.«
»Hallo, Emily. Wundervolle Neuigkeiten! Die Datei ist eine Attrappe, und wir wissen, wer dafür verantwortlich ist.« Sie kicherte ein wenig
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