Der Weg in Die Schatten
keine Rolle. Alles, was zählte, war das blutüberströmte kleine Mädchen, das auf blutigen Laken lag. Er spürte, wie etwas in ihm zusammenbrach, wie es ihm den Atem aus dem Körper presste. Ein Teil von ihm war froh; ein Teil von ihm jubilierte, während er das Gefühl hatte, zur Bedeutungslosigkeit zerquetscht zu werden. Das war es, was er verdiente.
Aber dann hörte es auf. Er blinzelte und bemerkte, dass keine Tränen in seinen Augen waren. Er würde nicht zerquetscht werden. Etwas in ihm weigerte sich, zerquetscht zu werden. Er drehte sich zu Durzo um.
»Wenn Ihr sie rettet, gehöre ich Euch. Für immer.«
»Du verstehst nicht, Junge. Du hast bereits versagt. Außerdem liegt sie im Sterben. Es gibt nichts, was du tun kannst. Sie ist jetzt wertlos. Ein Mädchen auf der Straße ist genau so viel wert, wie es als Hure bekommen kann. Wenn du ihr Leben rettest, ist das keine Freundlichkeit. Sie wird dir nicht dafür danken.«
»Ich werde Euch finden, wenn er tot ist«, erklärte Azoth.
»Du hast bereits versagt.«
»Ihr habt mir eine Woche gegeben. Es sind nur fünf Tage vergangen.«
Durzo schüttelte den Kopf. »Bei den Nachtengeln. So sei es. Aber wenn du ohne Beweis zurückkommst, werde ich deinem Leben ein Ende machen.«
Azoth antwortete nicht. Er ging bereits davon.
Sie starb nicht schnell, aber sie lag eindeutig im Sterben. Durzo konnte nicht umhin, eine Art Zorn in sich zu verspüren. Es handelte sich um eine schlampige, grausame Arbeit. Die schrecklichen Verletzungen in ihrem Gesicht machten offenbar, dass der Täter beabsichtigt hatte, dass sie weiterlebte, mit grauenvollen Narben lebte, die sie für alle Zeit mit Scham erfüllen würden. Aber stattdessen starb sie, keuchte ihr Leben durch eine gebrochene, blutende Nase aus.
Auch er konnte nichts für sie tun. Das zeigte sich sehr schnell. Er hatte die beiden Großen getötet, die sie nach dem Gemetzel bewacht hatten, aber er argwöhnte, dass keiner der beiden der Täter gewesen war. Sie waren beide ein wenig zu entsetzt gewesen über das Böse, an dem sie Anteil hatten. Ein Teil von Durzo, der noch immer einen Funken Anstand besaß, verlangte, dass er den Schurken, der dies getan hatte, unverzüglich tötete, aber er hatte sich zuerst um das kleine Mädchen gekümmert.
Sie lag auf einer niedrigen Pritsche in einem der kleineren sicheren Häuser, die ihm in den Kavernen gehörten. Er säuberte sie, so gut er konnte. Er wusste eine Menge darüber, wie man Leben erhielt: Das hatte er zusammen mit dem gelernt, was er über das Töten wissen musste. Es ging einfach darum, sich der Linie zwischen Leben und Tod von der entgegengesetzten Seite zu nähern. Daher wurde schnell offenbar, dass ihre Verletzungen
seine Fähigkeiten überstiegen. Sie war getreten worden und hatte innere Blutungen. Diese würden sie töten, selbst wenn der Blutverlust sie nicht umbrachte.
»Leben ist leer«, erklärte er ihrer reglosen Gestalt. »Leben ist wertlos, bedeutungslos. Leben ist Schmerz und Leiden. Ich erspare dir viel, indem ich dich sterben lasse. Du wirst jetzt hässlich sein. Man wird über dich lachen. Dich anstarren. Mit dem Finger auf dich zeigen. Schaudern. Du wirst ihr eigensüchtiges Mitleid erfahren. Du wirst eine Kuriosität sein, ein Gräuel. Dein Leben ist jetzt nichts mehr wert.«
Er hatte keine Wahl. Er musste sie sterben lassen. Es war nur gütig. Nicht gerecht vielleicht, aber gütig. Nicht gerecht. Der Gedanke nagte an ihm, und ihre Hässlichkeit, ihr Blut, ihr Keuchen nagten an ihm.
Vielleicht musste er sie retten. Für den Jungen. Vielleicht würde sie einfach der Stachelstock sein, der ihn anspornte. Momma K sagte, Azoth sei vielleicht zu gütig. Vielleicht würde Azoth aus diesem Vorfall lernen, zuerst zu handeln, schnell zu handeln, jeden zu töten, der ihn bedrohte. Der Junge hatte bereits zu lange gewartet. Es war ein Risiko, so oder so. Der Junge hatte sich Durzo für alle Zeit verpflichtet, wenn er sie rettete, aber was würde es für den Jungen bedeuten, diesen Krüppel um sich zu haben? Sie würde eine lebende Erinnerung an sein Versagen sein.
Durzo konnte nicht zulassen, dass Azoth sich wegen eines Mädchens selbst zerstörte. Er würde es nicht zulassen.
Das Keuchen gab den Ausschlag. Er würde sie nicht selbst töten, und er war nicht ein solcher Feigling, dass er davonlaufen und sie allein sterben lassen würde. Schön. Er würde tun, was er konnte, um sie zu retten. Wenn sie starb, war es nicht seine Schuld. Wenn sie
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