Der Weg in Die Schatten
dich später lehren, aber ich hatte bisher keine Zeit dazu, und mir war nicht danach zumute, nach oben zu gehen und aus einem Fenster zu springen.«
Azoth war verwirrt. »Aber er benimmt sich nicht wie ein Magier.«
»Und woran willst du das erkannt haben?«, fragte Durzo.
»Ähm...« Azoth glaubte nicht, dass die Antwort »Er ist nicht wie die Magier in den Geschichten« Durzo gefallen würde.
»Die Wahrheit ist«, fuhr Durzo fort, »dass Solon Logan und auch sonst niemandem anvertraut hat, dass er ein Magier ist, und du wirst es ebenfalls niemandem erzählen. Wenn du das Geheimnis eines Mannes kennst, hast du Macht über ihn. Das Geheimnis eines Mannes ist seine Schwäche. Jeder Mann hat eine Schwäche, ganz gleich...« Master Blints Stimme verlor sich, und in seine Augen war plötzlich ein leerer, lebloser Ausdruck getreten. Er stand auf und verließ ohne ein Wort den Raum.
Azoth schloss verwirrt die Augen. Er machte sich Gedanken über seinen neuen Meister. Er machte sich Gedanken über die Gilde. Er machte sich Gedanken, wie es Jarl erging. Vor allem aber machte er sich Gedanken um Puppenmädchen.
»Hey-ho, Azo.«
»Hey-ho, Jay-Oh«, sagte Azoth. Noch während er den Worten die gleiche Betonung gab, die er ihnen immer gegeben hatte, spürte Azoth, wie ein Teil von ihm starb. Dies sollte einer seiner letzten Ausflüge als Azoth sein. In Kürze würde er Kylar werden müssen. Er würde anders gehen, anders reden. Er würde seine alte Gegend im Labyrinth nie wieder aufsuchen. Aber jetzt sah er, dass Azoths Welt bereits im Sterben lag, dass er nie wieder eine echte Verbindung zu Jarl haben würde. Es hatte nichts mit den Lügen zu tun, die Kylar erzählen würde, und alles mit Ratte. Es war jetzt anders. Das würde es immer sein.
Azoth und Jarl sahen einander im Gemeinschaftsraum von Momma Ks Haus lange an. Es war beinahe Mitternacht, und man würde die Gilderatten bald aus dem Haus scheuchen. Sie waren den ganzen Tag lang im Gemeinschaftsraum willkommen, aber sie durften dort nur im Winter schlafen, und dann auch nur, wenn sie den Regeln folgten, die hier für sie galten: keine Raufereien, keine Diebstähle, und sie durften sich nur in der Küche und im Gemeinschaftsraum aufhalten und die Erwachsenen nicht stören, die zu Besuch kamen. Jede Gilderatte, die die Regeln brach, hatte zu verantworten, dass Momma K die gesamte Gilde für den Winter verbannte. Im Allgemeinen war das die Todesstrafe für den Übeltäter, denn es bedeutete, dass die ganze Gilde in den Abwässerkanälen schlafen musste, um sich warm zu halten, und dafür würden sie ihn töten.
Trotzdem war der Raum immer überfüllt. Es gab einen Kamin, und der Boden war mit weichen Teppichen bedeckt, auf denen man gut schlafen konnte. Diese Teppiche waren einst sauber gewesen, aber nun waren sie fleckig von ihren schmutzigen Leibern. Trotz des Schadens wurde Momma K nie wütend auf sie - und alle paar Monate tauchten neue Teppiche auf. Es gab stabile Stühle, auf denen die Gilderatten sitzen durften, Spielzeug, Puppen und haufenweise Spiele, mit denen sie sich die Zeit vertreiben konnten. Manchmal brachte Momma K ihnen sogar Leckerbissen. Hier machten sie Glücksspiele und prahlten und schwatzten ungehindert mit jedem, der herkam, selbst mit Kindern außerhalb ihrer eigenen Gilde. Es war der einzige Ort, an dem es Gilderatten gestattet war, Kindern zu ähneln. Es war der einzige sichere Platz, den sie kannten.
Als er nun zurückkam, sah dieser Ort anders aus. Was ihm noch vor so kurzer Zeit als der Inbegriff des Luxus erschienen war, war jetzt nur mehr ein schlichter Raum mit schlichten Möbeln
und einfachem Spielzeug, weil die Gilderatten alles Bessere ruinieren würden. Sie würden alles schmutzig machen und zerbrechen, was zart war, nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit. Der Raum war noch der gleiche; es war Azoth, der sich verändert hatte. Azoth - oder Kylar, was immer er war - staunte über den Gestank der Gilderatten. Rochen sie sich denn selbst nicht? Schämten sie sich nicht, oder war es nur er, der sich schämte zu sehen, was er gewesen war?
Wie er es nach seinen Lesestunden bei Momma K immer tat, hatte Azoth sich auf die Suche nach Jarl gemacht. Aber jetzt, da sie einander gegenüberstanden, wusste keiner etwas zu sagen.
»Ich brauche deine Hilfe«, erklärte Azoth schließlich. Es gab keine Möglichkeit zu vertuschen, was er wollte. Er war nicht hier, um einen Freund zu besuchen. Er war hier, um eine Aufgabe zu
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