Der Weg in Die Schatten
ihn. »Verdammt sollst du sein! Benutz deinen Kopf! Wenn du wirklich so dumm bist, hätte ich dich töten sollen. Hat er mir geglaubt, als ich sagte, es sei mir gleichgültig, wenn sie dich töteten?«
Azoth wandte den Blick ab, denn er wusste, dass Blint recht hatte. »Ihr habt das die ganze Zeit geplant.«
»Natürlich habe ich das! Was glaubst du, warum wir dein Haar gebleicht haben? Es war die einzige Möglichkeit, dich zu retten. Azoth musste sterben, damit Kylar leben konnte. Anderenfalls hätten sie ein Druckmittel gehabt. Jede Bindung, die du in diesem Leben eingehst, wird gegen dich verwendet werden. Das ist der Grund, warum wir stark sind. Das ist der Grund, warum vier Blutjungen mich nicht töten konnten. Weil ich keine Bindungen habe. Das ist der Grund, warum du dich nicht verlieben darfst. Es macht dich schwach. Sobald du etwas findest, das du nicht jederzeit hinter dir lassen kannst, sitzt du in der Falle, bist du dem Untergang geweiht. Wenn irgendjemand denkt, ich gäbe auch nur das Haar auf dem Arsch einer Ratte für dein Leben, wirst du zur Zielscheibe. Für alle.«
Wie macht er das? Wie ist es möglich, dass er so stark ist?
»Jetzt schau her. Schau dir meine verdammten Hände an!« Blint hob die Hände. Beide waren leer. Er machte eine Faust und schlug damit auf einen Arm. Ein blutiger Dolch schoss auf der anderen Seite hervor. Er zog die Hand weg, und das Messer glitt wieder durch sein Fleisch zurück - bevor es sich in Rauch auflöste und verschwand.
»Ich besitze eine kleine Begabung für Illusionen dieser Art, Kylar. Bei dir habe ich meine Sache besser gemacht, weil ich sie verkaufen musste. Aber ich habe nichts anderes getan, als dich
von hinten mit einer Betäubungsnadel zu stechen und die Illusion dann aufrechtzuerhalten, bis sie Wirkung zeigte.«
»Aber ich habe es gespürt«, wandte Kylar ein. Er fand langsam das Gleichgewicht wieder. Die Tränen waren versiegt. Er dachte wieder an sich als Kylar.
»Natürlich hast du es gespürt. Du hast gespürt, dass ich dich gestochen habe, und du hast einen Dolch aus deiner Brust ragen sehen. Gleichzeitig hat dein Körper versucht, ein Dutzend geringerer Gifte abzuwehren. Du hast dir das Geschehen so gut wie möglich zusammengereimt. Es war ein Glücksspiel. Diese Illusion hat mich fast die gesamte Macht gekostet, die ich binnen eines Tages benutzen kann. Wenn Agons Männer das Gebäude gestürmt hätten, wären wir beide erledigt gewesen. Die Gifte, die ich benutzt habe, haben deinem Körper übel mitgespielt. Sie hätten dich töten können. Auch dies war ein Glücksspiel, das ich wagen musste.«
Master Blint liegt doch am Herzen, was mir widerfährt. Es traf ihn wie ein Blitz. Master Blint hatte es riskiert, seine gesamte Macht zu verbrauchen, um Azoth zu retten. Selbst wenn es nur die Zuneigung war, die ein Meister für einen talentierten Lehrling empfinden mochte, wärmte Blints Anerkennung Azoth - Kylar! -, als hätte der Blutjunge ihn umarmt.
Keinem Erwachsenen war es je wichtig gewesen, was aus ihm wurde. Der einzige andere Mensch, der jemals alles für ihn riskiert hatte, war Jarl, und Jarl war Teil eines anderen Lebens.
Die Wahrheit war, dass Azoth Azoth hasste. Azoth war ein Feigling, passiv, schwach, furchtsam, treulos. Azoth hatte gezögert. Master Blint wusste es nicht, aber die Gifte auf der Nadel hatten Azoth getötet. Er war jetzt Kylar, und Kylar würde alles sein, was zu sein Azoth nicht gewagt hatte.
In diesem Moment wurde Azoth zu Kylar, und Kylar wurde
zu Blints Besitz. Wenn er seinem Meister zuvor halbherzig oder aus Furcht gehorcht hatte, wenn er sich jemals Fantasien darüber hingegeben hatte, dass er eines Tages zurückkommen und ihn dafür töten würde, dass er ihn so hart hatte trainieren lassen, so vertrockneten all diese Ideen jetzt und lösten sich in nichts auf. Master Blint war hart gegen Kylar, weil das Leben hart war. Das Leben war hart, aber Blint war härter, stärker, zäher als alles, was das Labyrinth ihm in den Weg schleudern konnte. Er verbot Liebe, weil Liebe Kylar zerstören würde. Master Blint wusste es besser als Kylar. Er war stark, und er würde Kylar stark machen. Er war kämpferisch, und er würde Kylar kämpferisch machen. Aber er tat es alles nur für Kylar. Er tat es, um ihn zu schützen, um ihn zu dem besten Blutjungen zu machen, der er sein konnte.
Es war also keine Liebe. Na und? Es war etwas. Vielleicht konnten Adlige an den Ufern dieses Sees leben und nach Belieben davon trinken.
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