Der Weg in Die Schatten
davon.
27
Die Fenster des Raucherklubs Modaini waren aus plangaischem Spiegelglas, das zu Keilen und fantastischen Tiergestalten geschnitten war. Wenn man die Gestalten im Glas betrachtete, konnte man die Außenwelt vollkommen vergessen, und genau darum ging es. Wenn man die Gestalten betrachtete, bemerkte man die Gitterstäbe auf der anderen Seite des Fensters nicht. Kylar stand am Fenster und starrte durch diese Gitterstäbe auf ein Mädchen auf dem Sidlinmarkt hinab.
Es feilschte mit einem Verkäufer. Puppenmädchen - Elene - war jetzt, da Kylar achtzehn war, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Sie war wunderschön - zumindest aus dieser sicheren Entfernung. Von hier aus konnte er ihren Körper sehen, üppige Kurven in einem schlichten Dienstbotinnenkleid, das Haar zurückgebunden und goldglänzend in der Sonne, mit einem unbekümmerten Lächeln auf dem Gesicht. Obwohl er aus dieser Entfernung ihre Narben nicht erkennen konnte, war ihr weißes Kleid durch das farbige Glas betrachtet blutrot. Die verbleiten Wirbel der fantastischen Fenstergebilde erinnerten ihn an die Knoten ihrer Narben.
»Sie wird dich zerstören«, bemerkte Momma K hinter ihm. »Sie ist Teil einer anderen Welt, die du niemals kennen wirst.«
»Ich weiß«, sagte er leise und schaute dabei kaum über seine Schulter. Momma K war mit einem neuen Mädchen in
den Raum gekommen, einem Mädchen vom Ostufer, jung und hübsch. Momma K kämmte das blonde Haar des Mädchens. Der Modaini-Raucherklub unterschied sich in jeder Hinsicht von den meisten Bordellen in der Stadt. Die Kurtisanen hier waren in den Künsten der Konversation und der Musik ebenso ausgebildet wie in den Künsten der käuflichen Liebe. Es gab keine skandalösen Kleider, keine Nacktheit, kein Begrapschen in den öffentlichen Bereichen, und Männer aus dem gemeinen Volk hatten im Klub keinen Zutritt.
Momma K hatte natürlich schon vor langer Zeit von Kylars Ausflügen erfahren. Vor Momma K konnte man nichts geheim halten. Sie hatte deswegen auf ihn eingeredet und machte noch immer ihre Bemerkungen, wann immer sie zufällig im Klub war, aber sobald ihr klargeworden war, dass er nicht aufhören würde herzukommen, hatte sie ihm den Schwur abgenommen, dass er in den Raucherklub hineinging und von dort aus nach Elene Ausschau hielt. Wenn er schon dumm sein wollte, sagte sie, konnte er zumindest sicher sein. Wenn er nach draußen ging, würde er dem Mädchen früher oder später über den Weg laufen, mit ihr reden, sie in sein Bett holen und sich in sie verlieben, und am Ende würde er wegen seines Trotzes getötet werden.
»Sei nicht so schüchtern«, sagte Momma K zu dem Mädchen. »Du wirst schon bald in Anwesenheit eines Mannes erheblich mehr tun, als deine Kleider zu wechseln.«
Kylar drehte sich nicht um, als er das Rascheln von Kleidern hörte, die abgestreift wurden. Genau das, was er brauchte. Er war ohnehin schon niedergeschlagen.
»Ich weiß, dass es beim ersten Mal beängstigend ist, Daydra«, sprach Momma K sanft weiter. »Es ist ein hartes Gewerbe. Hab ich nicht recht, Kylar?«
»Das sollte es besser sein. Es nutzt nicht viel, wenn es weich ist.«
Daydra kicherte, zweifellos eher aus Nervosität als wegen Kylars scharfsinniger Bemerkung. Er wandte sich nicht von dem vergitterten Fenster ab, sondern sog Elenes Anblick in sich auf. Was würden ihre klaren braunen Augen sagen, wenn sie die junge Frau hinter ihm betrachtete, die sich auf ihren ersten Kunden vorbereitete?
»Am Anfang wirst du dich schuldig fühlen, Daydra«, sagte Momma K. »Rechne damit. Ignoriere es. Du bist keine Schlampe, du bist keine Lügnerin. Du bist im Unterhaltungsgewerbe. Männer kaufen feinen sethischen Wein nicht, weil sie Durst haben. Sie kaufen ihn, weil er ihnen ein gutes Gefühl schenkt. Das ist auch der Grund, warum sie herkommen. Männer werden immer für ihre Laster bezahlen, sei es Wein oder das Anheben deines Rockes...«
»Oder Mord«, warf Kylar ein und berührte dabei die wohlgefüllte Münzenbörse und den Dolch an seinem Gürtel.
Er konnte beinahe ein Frösteln in der Luft spüren, aber Momma K beachtete ihn nicht und fuhr fort. »Das Geheimnis besteht darin zu entscheiden, was du nicht verkaufen wirst. Verkaufe niemals dein Herz. Einige Mädchen weigern sich zu küssen. Einige lassen sich nicht von einem einzelnen Mann aushalten. Einige bieten bestimmte Dienstleistungen nicht an. Ich habe alles getan, aber mein Herz habe ich behalten.«
» Wirklich? «, fragte Kylar. Er drehte
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