Der Weg in Die Schatten
versuchte, trotz des Hämmerns seines Herzens auch noch das winzigste Geräusch zu hören.
Das leichte Rascheln von Stoff auf dem Boden hinter ihm ließ ihn herumfahren. Aber da war nichts außer Blints Robe, die auf dem Boden lag. Ein dumpfer Aufprall verkündete, dass Blint selbst hinter Kylar gelandet war. Wieder fuhr Kylar herum, aber etwas packte ihn zuerst an der linken, dann an der rechten Hand. Master Blint stand barbrüstig da, einen toten Ausdruck in den Augen, seine realen Hände an den Seiten. Kylars Handgelenke wurden durch Magie hochgehalten. Langsam wurden seine Arme auseinandergezogen, bis sie auf gleicher Höhe mit seinem Oberkörper waren, dann noch weiter. Kylar blieb still, solange er konnte, dann schrie er, als seine Gelenke ausgerenkt zu werden drohten.
Die magischen Fesseln fielen herab, und Kylar sackte besiegt auf dem Boden zusammen.
Durzo schüttelte enttäuscht den Kopf - und Kylar griff an. Sein Tritt verlangsamte sich, als er sich Durzos Knie näherte, als treffe er auf eine Feder - die ihn dann prompt zurückschleuderte und als ein Häufchen Elend auf dem Boden zurückließ.
»Siehst du, was gerade geschehen ist?«, fragte Durzo.
»Ihr habt mir einmal mehr in den Hintern getreten«, antwortete Kylar.
»Davor.«
»Ich hätte Euch beinahe geschlagen«, sagte Kylar.
»Du hast mich getäuscht und hättest mich vernichtet, doch
ich habe meine Magie benutzt, und du weigerst dich noch immer, deine zu benutzen. Warum?«
Weil ich schadhaft bin. Seit seiner Begegnung mit Drissa Nile vor vier Jahren hatte Durzo hundertmal daran gedacht, Blint zu erzählen, was sie ihm offenbart hatte: Er hatte keinen Kanal, und das ließ sich nicht in Ordnung bringen. Aber die Regeln waren immer klar gewesen. Kylar wurde ein Blutjunge, oder er starb. Und wie Blint gerade einmal mehr bewiesen hatte, würde Kylar ohne die Magie kein Blutjunge sein. Blint die Wahrheit zu sagen, war ihm immer wie eine schnelle Methode erschienen zu sterben. Kylar hatte alles versucht, um dafür zu sorgen, seine Magie nutzbar zu machen, oder herauszufinden, ob ihm irgendetwas helfen konnte, aber er hatte nichts gefunden.
Blint atmete tief durch. Als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme ruhig. »Es wird Zeit für die Wahrheit, Kylar. Du bist ein guter Kämpfer. Noch immer nicht perfekt mit Kettenstangen und Keulen, Armbrüsten und...« Er holte zu einem längeren Vortrag aus, bemerkte es dann jedoch selbst. »Wie dem auch sei, du bist im Kampf ohne Waffen oder mit den ceuranischen Anderthalbhändern, die dir so liegen, der Beste, den ich kenne. Heute hättest du mich überwältigt. Beim nächsten Mal wird es dir nicht gelingen, aber du wirst anfangen zu siegen. Dein Körper weiß, was er tun muss, und dein Geist hat es zum größten Teil ebenfalls begriffen. In den nächsten Jahren wird dein Körper ein wenig schneller werden, ein wenig stärker, und du wirst erheblich schlauer werden. Aber dein Waffentraining ist beendet, Kylar. Der Rest ist Übung.«
»Und?«, hakte Kylar nach.
»Folge mir. Ich habe etwas, das dir vielleicht helfen wird.«
Kylar folgte Blint in sein Arbeitszimmer. Dieser Raum war kleiner als der, den Azoth in Blints altem sicherem Haus gesehen
hatte, aber dieses Haus hatte zumindest Türen zwischen den Tierpferchen und dem Arbeitsbereich. Es roch viel besser, und inzwischen war es ihm auch vertraut. Die Bücher auf den Regalen waren wie alte Freunde. Er und Blint hatten sie sogar um Dutzende von Rezepten erweitert. Während der vergangenen neun Jahre hatte er Blints meisterlichen Umgang mit Giften zu schätzen gelernt.
Natürlich benutzte jeder Blutjunge Gifte. Schierling und Blutblume, Alraunwurzel und Ariamu waren allesamt heimische Pflanzen und ziemlich tödlich. Aber Blint kannte Hunderte von Giften. Es gab ganze Seiten in seinen Büchern, die kaum mehr zu entziffern waren, vollgekritzelt mit Durzos knapper, eckiger Handschrift: »Narr. Verwässert das Gift.« Andere Einträge waren ergänzt worden, und bei diesen Ergänzungen fanden sich Angaben darüber, wie lange es dauerte, bis das Gift wirkte, welches die besten Verabreichungsmethoden waren oder wie man die Pflanzen in einem fremden Klima am Leben erhielt.
Master Blint griff nach einem Kasten. »Setz dich.«
Kylar setzte sich an den hohen Tisch, stützte einen Ellbogen auf das Holz und bettete das Kinn in die Hand. Blint stülpte den Kasten vor ihm um.
Eine weiße Schlange glitt mit einem dumpfen Aufprall auf den Tisch. Kylar hatte
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