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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Aussicht! Die Verbannten würden den Zelten der Bärenbande zu Hilfe kommen, und die Krieger würden, von den Pani bedroht, glücklich sein, Mattotaupa wieder an ihrer Spitze zu sehen. Er konnte mit dem Vater zusammen heimkehren, ins väterliche Tipi, zu seinem Freunde Tschetan, zu Kraushaar, zu Harpstennah. Wie würden Uinonahs und Untschidas Augen aufleuchten, wenn Mattotaupa und Harka ruhmbedeckt zurückkehrten!
    Aber nicht nur die Hoffnung auf die Rechtfertigung des Vaters und auf Kriegsruhm bewegten Harka. Die Flinte eines Pani hatte im Frühjahr seine Mutter getötet. Jetzt, im beginnenden Herbst, sollten die Pani erfahren, daß Harka eine doppelläufige Büchse besaß, und es sollte ihnen nicht gelingen, Harkas Schwester und auch Untschida, seine Großmutter, die ihm wie eine Mutter gewesen war, zu töten oder aus dem Zelte wegzuschleppen. Wie gut war es, daß er den Sommer über noch nicht eine einzige Patrone verschossen hatte! Er würde eine jede noch dringend gebrauchen. -
    »Wann gehen wir, Vater?«
    »Wir schlafen vier Stunden, und wenn wir uns dadurch für die kommenden Nächte gekräftigt haben, brechen wir auf. Wir nutzen die Dunkelheit, um unbemerkt in den Wald hinunterzugelangen. Vielleicht kann ich dann diese Kriegerschar noch vor Anbruch des kommenden Tages beschleichen.«
    Mattotaupa und Harka schliefen den Tag über noch einmal auf der Wiese im kleinen Tal. Als sie beim Abendschein erwachten, kam eben der Adler zurück. Er hatte festes Knüppelholz in den Fängen, brachte es aber nicht auf den Felsblock an der Quelle, sondern auf die felsige Gipfelhöhe, die das kleine Tal südlich begrenzte. Dort wollte er offenbar seinen neuen Horst bauen.
    Als er das Holz abgeladen und umhergespäht hatte, flatterte er noch einmal auf den Felsblock herunter und sperrte den Schnabel auf. Harka warf ihm Abfälle hin. Der Adler verschlang sie und flog dann auf den Gipfel, ehe es ganz finster wurde.
    Für Mattotaupa und Harka wurde es Zeit aufzubrechen. Sie luden allen Proviant auf, den die beiden Pferde außer den Reitern tragen konnten, ohne behindert zu werden. Sie nahmen ihre Waffen an sich und machten sich auf den Weg. Was es zu tun gab, beschäftigte Harka so stark, daß er beim Einbiegen in den Felspfad nicht einen einzigen Blick in das kleine Tal zurückwarf, das so lange seine und des Vaters Zufluchtsstätte gewesen war.
     
     

 
Freund oder Feind?
     
    In den Wäldern an den Berghängen begann es schon nach Herbst zu duften. Auf dem Waldboden lagen die ersten verwelkten, modernden Blätter. Von den Prärien am Fuße des Gebirges strahlte die Wärme des dürren Bodens aus, der nach Monaten voller Sonnentage und austrocknenden Winden wie kahlgebrannt unter dem Nachthimmel lag. Es war Mittemacht. Die Mondsichel stand am Himmel, aber ihr schwacher Schimmer drang nicht zwischen die Bäume ein. In tiefstem Dunkel stand Harka bei den Pferden und wartete. Die Pferde waren nicht festgemacht. Der Knabe hielt sie am Zügel. Es war sehr still im nächtlichen Wald, und Harka lauschte, ob er in der Stille irgendein Geräusch vernehmen könne. Aber er hörte keinen Laut, der von Menschen stammte, und er roch auch keinen Rauch.
    Diese hundert Reiter, die in die Wälder eingedrungen waren, sahen sich vor. Harka wartete auf den Vater, der jetzt zu Fuß durch den Wald schlich, um auszukundschaften, wer die Reiter seien und was sie im Schilde führten. Es konnte sein, daß auch die Reiterschar Späher ausgesandt hatte, und daher mußte sich Mattotaupa auf seinem Kundschaftsgang sehr in acht nehmen. Sein Vorteil war, daß er von den Reitern wußte, diese aber nicht von ihm.
    Ein Wiesel huschte durchs Gesträuch. Von irgendwoher schrie ein Vogel, der in der Finsternis von einem seiner Feinde überrascht worden war und sein Leben einbüßte. Das war der Kampf des kleinen Getiers, der die großen Tiere und die Menschen wenig anging. Die beiden Mustangs, die Harka am Zügel hatte, legten sich hin, um bequemer zu schlafen. Harka setzte sich zu ihnen, ohne die Zügel aus der Hand zu lassen. Da er am Tage vorgeschlafen hatte, war er nicht müde. Er war auch nicht Ungeduldig, denn er hatte sich von vornherein darauf eingerichtet, einige Stunden auf den Vater zu warten.
    Er war sogar erstaunt, als der Vater lange vor Morgengrauen zu ihm zurückkehrte. Harka hörte ihn schon kommen, ehe er ihn sah. Im raschen Dauerlauf strebte Mattotaupa quer über den Hang durch den Wald zu Harka. Er nahm keine Rücksicht darauf, daß man seine

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