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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wurde. Ganz leise stand Uinonah auf und legte ihre Decke ordentlich zusammen. Dann ging sie ein paar Schritte zur Feuerstelle, in der man an den warmen Tagen das Feuer des Nachts ausgehen ließ. Sie bückte sich, griff in die Asche und färbte ihr abgemagertes Gesicht mit Asche schwarz. Das bedeutete, daß sie fasten, daß sie den ganzen kommenden Tag nichts essen wollte.
    Uinonah verließ das Zelt und glaubte sich unbemerkt. Sie hatte nicht wahrgenommen, daß Untschida erwacht war und ihr nachsah, bis sie durch den Zeltschlitz hinausgehuscht war. Draußen blieb das Mädchen stehen und schaute rings über den Dorfplatz. Der Schatten des Pfahles fiel noch immer wie ein schwarzer, hinweisender Finger bis zum Zauberzelt. An der Stange vor dem Zauberzelt hing eine alte Flinte und in einem kleinen Netzsäckchen ein Goldkorn. Uinonah betrachtete diese beiden Dinge ernsthaft und nachdenklich. Der Ausdruck ihres Gesichts bekam dabei etwas Starres, Unkindliches. Diese Flinte war das Geheimniseisen, mit dem ein Pani Uinonahs Mutter getötet hatte. Mattotaupa hatte diesen Pani getötet, Uinonahs älterer Bruder Harka hatte das Mazzawaken im Kampf an sich genommen, der Zaubermann hatte es als Opfer Harkas für sich verlangt.
    Diese Flinte hatte ihre Geschichte, und vielleicht war diese Geschichte noch nicht zu Ende. Das Goldkorn aber hatte Harka am Flusse bei den Black Hills gefunden, Mattotaupa hatte es zornig in die Wässer des North-Platte geworfen, Schwarzhaut Kraushaar hatte es wieder herausgefischt, und dann hatte der Zauberer auch dieses Korn an sich genommen. Manchmal verbarg er es in seinem Zelte, manchmal hing es an der Stange draußen, so daß alle es sehen konnten. Nie aber wußte jemand, wann der alte Geheimnismann dies oder das tun werde und warum er etwas tat.
    Uinonah betrachtete die beiden Gegenstände lange. Dann schaute sie nach einem anderen Zelt, das etwas abseits des Dorfplatzes, mehr dem Gehölz zu, aufgebaut war. Es wurde Zeit, daß Weiße Rose kam, mit der sie sich treffen wollte. Weiße Rose war eine der beiden Zwillingsschwestern, die Kinder von Mattotaupas Bruder waren, jenes Bruders, den der Grizzly zerfleischt hatte. Uinonah und Weiße Rose waren Freundinnen, und diese Freundschaft hatte auch Mattotaupas Verbannung und Harkas Flucht überdauert. Weiße Rose hatte sich nie geschämt, mit der Tochter eines Geächteten zusammen gesehen zu werden. Der Zeltschlitz, den das Mädchen beobachtete, ging auf, und Weiße Rose kam heraus. Auch sie hatte ihr Gesicht mit Asche gefärbt, denn die Freundinnen hatten sich das Versprechen gegeben, miteinander zu fasten. Sie gingen jetzt zueinander hin, faßten sich an der Hand und liefen dann miteinander durch das Gehölz zu dem Bach, der Zeltdorf und Wäldchen im Bogen umfloß. Am sandigen Ufer ließen sie sich nieder. Die Nacht war kühler als der Tag, aber trotz der hohen Lage der Prärien noch lau. Das Wasser duftete nicht mehr frisch, es hatte einen abgestandenen Geruch und floß träge.
    Im Westen war die Kette des Felsengebirges als schwarze Silhouette gegen den blau-dunklen Nachthimmel zu erkennen. Uinonah schaute zu den Bergen. Dorthin waren ihr Vater und ihr Bruder geritten, als der Stamm den Häuptling ausstieß.
    Die beiden Mädchen saßen still beieinander. Sie hatten sich eine Uferstelle gewählt, an der sie, von Gehölz und schwachen Uferhöhen gedeckt, weder von den Zelten noch von der Pferdeherde her gesehen werden konnten. Sie wollten allein miteinander sein, denn das Herz war ihnen schwer.
    »Was sagt Untschida?« fragte Weiße Rose schließlich flüsternd. »Glaubt sie, daß die Pani kommen?«
    »Untschida schweigt.«
    Weiße Rose seufzte. »Tschetan glaubt, daß sie kommen werden.«
    Tschetan, siebzehn Jahre alt und Anführer der Burschen vom Bund der Roten Feder, hatte Vater und Pflegevater verloren und lebte bei der verwitweten Mutter der Weißen Rose. »Die Herbstjagden auf die Büffel stehen bevor, und die Pani werden versuchen, uns zu vertreiben, ehe gejagt wird. So sagt er. Was denkst du?«
    »Was nützt das Denken? Wir haben keinen Häuptling mehr.«
    »Alte Antilope haben wir und den Alten Raben.«
    Uinonah senkte den Kopf. »Gewiß.«
    »Es ist gut, daß wir fasten, Uinonah. Die Geister sind uns feindlich. Wir müssen sie versöhnen, und Wakatanka, das Große Geheimnis, soll wissen, daß auch wir etwas tun wollen.«
    »Ja.«
    Die Mädchen verstummten wieder. Aber keines hatte Lust, schon ins Zelt zurückzugehen.
    »Horch!« sagte Uinonah

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