Der Weg in die Verbannung
Sprünge hören konnte; es schien ihm nur auf Schnelligkeit anzukommen. Bei dem Jungen und den Pferden machte er halt und ließ sich neben Harka auf den Boden fallen. Er atmete tief.
»Es sind Pani«, sagte er. »Sie haben sich mit der Kriegsfarbe bemalt. Ihre Pferde haben sie im Wald zurückgelassen. Die Waffen in der Hand, laufen sie nordostwärts in die Prärie, in einer langen Reihe. Sie laufen, was sie können.«
»Und wir?«
»Die Pani sind auf dem Kriegspfade. Sie haben ihre Mustangs zurückgelassen, also planen sie einen heimlichen Überfall. Wir müssen erkunden, ob die Männer der Bärenbande gerüstet sind, um diese Hunde mit den Waffen zu empfangen.«
»Reiten wir?«
»Wir müssen schneller sein als die Pani. Es bleibt uns keine Zeit. Vielleicht kommen wir sogar mit unseren Mustangs schon zu spät. Durch den Wald wären wir zu Fuß allerdings rascher als zu Pferd, aber sobald die Prärie erreicht ist, gewinnen wir, was wir vorher verloren haben. Komm! Wir wollen reiten!«
Während Mattotaupa und Harka in dieser und bis in die nächste Nacht hinein unterwegs waren, standen die Zelte der Bärenbande scheinbar in tiefem Frieden am Ufer des Pferdebachs. Der Bach war in den regenlosen Wochen zu einem dünnen Rinnsal geworden. Das Gras ringsumher war dürr, und das kleine Wäldchen, das die Wiese mit den Zelten umschloß, schon herbstlich welk. Die Pferde vermißten frisches Grün und standen auf der Ostseite des Zeltdorfs unzufrieden beisammen. Auf dem Dorfplatz, inmitten der Zelte, war ein geschnitzter Pfahl aufgerichtet. Der Platz war jetzt leer, und der Pfahl stand da wie ein zu Holz gewordener stummer Mann. Nur das Mondlicht fiel darüber und ließ einen Schatten entstehen, der von dem Pfahl bis zu dem Zauberzelte reichte. Auf dem durch viele Kulttänze festgetretenen Boden waren zahlreiche neue Fußeindrücke entstanden. Die Männer hatten am vergangenen Tage den Kriegstanz um den Pfahl getanzt. Jetzt schliefen sie ermüdet. Nur die Posten bei den Pferden und drei Späher waren wach. Diese drei waren nach Süden ausgesandt und hatten eine Hügelkuppe besetzt, um von hier aus die Prärie zu überblicken und das Dorf zu warnen, wenn Feinde kamen.
In einem der drei großen Zelte, die am Dorfplatz aufgeschlagen waren, rührte es sich ganz leise. Es war das Zelt, in dem Mattotaupa als Häuptling gewohnt hatte. Vor dem Eingang stand die Trophäenstange, an der noch Büffelschädel mit Hörnern, Bärenklauen, Skalpe und Waffen hingen, die der einstige Herr dieses Zeltes erbeutet hatte. Bei dem Zelteingang war auch ein prächtiger Mustang, ein junger schwarz-braunweiß-gefleckter Schecke, angepflockt. Die Zeltplanen waren mit den Zeichnungen von Vierecken geschmückt, die die vier Weltenden darstellen und als schützende Zauberzeichen dienen sollten.
In diesem Zelte rührte es sich. Von den fünf Menschen, die darin schliefen, war ein junges Mädchen aufgewacht. Sie hatte noch nicht einmal die Augen aufgemacht; vielleicht hielt sie sie auch absichtlich geschlossen, um jederzeit sagen zu können, daß sie nur geträumt habe. Aber sie griff vorsichtig, sehr überlegt, zu den Mokassins und den Kleidern, die sich neben ihrem Nachtlager befanden, und zog sich unter der Decke an. Als sie angekleidet war, zog sie die Decke noch einmal bis über die Schultern und legte den Kopf wie eine Schlafende zurück auf das Weidengeflecht, das von einem Dreifuß herabhing und als angenehme Kopfstütze diente. Sie öffnete aber jetzt die Augen, schaute um sich und lauschte gleichzeitig. Die Atemzüge der anderen vier Menschen gingen gleichmäßig und ruhig. Harpstennah, der jüngere Bruder, hatte sich zusammengerollt; das war bei ihm immer das Zeichen, daß er fest schlief. Scheschoka, die als Uinonahs zweite Mutter ins Zelt gezogen war, hustete, ohne zu erwachen. Schonka, der fünfzehnjährige Sohn, den sie mit ins Zelt gebracht hatte, wälzte sich in seihen Decken hin und her und sprach im Traum. Es war aber nicht zu verstehen, was er sagte. Müde genug mußte er sein, um zu schlafen, denn er hatte vorher die Pferdewache gehabt. Die Frage war, ob Untschida schlief, die Großmutter. Und wenn sie auch schlief, ihr Schlaf war stets so leise, daß sie bei dem geringsten Vorgang, der nicht in die Zeltordnung paßte, sofort wach wurde.
Aber das junge Mädchen hatte nichts Böses vor, obgleich keiner von ihrem Vorhaben wissen sollte. Vor Untschida brauchte sie sich nicht zu schämen, auch dann nicht, wenn sie von ihr ertappt
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