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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Gewohnheit und Übung für den Ton der Kriegspfeife hielt. Er hatte schon die Waffen in der Hand, als er erst begriff, daß er nicht im heimischen Zelte geweckt worden war, sondern bei seinem Pferde, neben einem verdächtigen Blockhaus. Die Nacht war still, auch im Hause war es ruhig, bis auf einen halb erstickten Schrei, der noch herausdrang. Mattotaupa war ebensoschnell wie Harka aus den Decken gefahren, und der Knabe erblickte den Vater bei der Tür, die Mattotaupa mit der Axt krachend einschlug. Harka eilte zum Vater. Er vergaß dabei nicht, einen Blick hinüber zu Tobias zu werfen. Der Indianer mit dem bunten Halstuch bestieg eben sein Pferd und ritt in gestrecktem Galopp nordostwärts davon. Er schien wie ein Mann zu handeln, der es nicht liebte, in Konflikte verwickelt zu werden, die ihn nichts angingen.
    Aber Mattotaupa hatte mit einigen Axthieben in die Tür eine Öffnung geschlagen, durch die er in das Haus gelangen konnte. Harka gab einen Warnschuß aus seiner Büchse ab und stürzte hinter dem Vater in den finsteren Innenraum des Hauses hinein. Beide drängten nach der linken hinteren Ecke, wo sie die Schlafplätze von Langspeer und Gelbbart wußten.
    Schon bei den ersten Axthieben des Dakota war im Hause ein wildes Durcheinander entstanden. Harka fand sich jetzt mitten in den Menschenknäueln. Ein Hilferuf ertönte, das war Langspeers Stimme. Mattotaupa antwortete aus dem Instinkt langer Gewohnheit heraus mit dem Kriegsruf der Dakota. Harka stimmte ein.
    »Hi-jip-jip-jip-hi-jaaah.«
    Das wirkte einen Moment lähmend auf alle im Hause. Draußen, bei dem Lager der Indianer, die ihre Ware zum Blockhaus gebracht hatten, erhob sich aber ein durcheinanderwogendes Geheul in verschiedenen Stammessprachen. Die sechs Hunde bellten wütend.
    Mattotaupa schien mit seiner Axt, die er mit beiden Händen zum Schlage hob, schon zu der gesuchten Ecke durchgedrungen zu sein.
    Es rief von dort wie erlöst: »Mattotaupa! Mattotaupa!« Das war Gelbbart, der im Augenblick höchster Angst und Erregung den Dakota mit seinem wahren Namen nannte und ihn als seinen Retter begrüßte. Harka konnte sich aber der Freude über das erfolgreiche Handeln des Vaters nicht hingeben, denn irgend jemand hatte den Lauf seines Mazzawaken gepackt und rang mit ihm um die Waffe, auf die Harka durchaus nicht verzichten wollte. Der andere war stärker, der Knabe sehr geschickt. Aber er wurde von hinten gepackt, und eine Stimme, die er daran zu erkennen glaubte, daß sie sich zwischen zahnlosen Kiefern hervorquetschte, schrie: »Ins Loch mit dir!«
    Harka wurde jetzt von zwei Männern im Rücken gepackt und konnte keinen erfolgreichen Widerstand mehr leisten. Mit rohen Griffen bezwungen, wurde er kopfüber in ein Loch im Boden hinuntergestoßen, und ein Deckel klappte mit dumpfem Poltern über ihm zu.
    Er stürzte, mit dem Kopf voran, und kam unter Wasser. Es war gut, daß er von früher Kindheit an mit harten Proben erzogen worden war, so daß er auch in diesem Augenblick der Überrumpelung und äußersten Lebensgefahr die Nerven nicht verlor. Da er sofort spürte, daß ihm das Wasser über Kopf und Schultern bis zu den Hüften reichte, die Beine in dem engen Loch aber nicht im Wasser, sondern in der Luft standen, griff er rechts und links an die Wände und hantelte sich, seinen schmalen Jungenkörper zusammenziehend und wieder ausstreckend, aufwärts. Die Wände fühlten sich wie Holz, weiter oben wie Erde an. Es gelang ihm, mit dem Kopf über den Wasserspiegel zu gelangen, und er atmete tief und spie Wasser aus.
    Was war das für ein Loch, in das ihn die Räuber geworfen hatten? Ein Wasserloch unter dem Fußboden des Hauses war es ganz offenbar, mit einem Deckel verschlossen. Eine Art Brunnenloch im Hause hatte der zahnlose Ben. Sehr zweckmäßig war das, wenn das Haus belagert wurde. Aber für Harka war die Lage gefährlich.
    Von den Menschen oben hatte er nichts zu erwarten, als daß sie den Deckel zuhalten würden, um ihn hier unten umkommen zu lassen. Ob der Vater aber je ahnen würde, wohin man Harka hatte verschwinden lassen, das war so ungewiß wie das Schicksal des Vaters oben im Blockhaus überhaupt. Der Junge war auf sich allein gestellt. Er mußte sich hier unten selbst helfen, oder er kam um. Was tun?
    Harka konnte sich nur mit großer Mühe über dem Wasserspiegel halten. Es war ihm nicht möglich, sich umzudrehen und den Kopf nach oben zu bekommen, dazu war der Schacht zu eng. Wie tief wohl der Brunnenschacht war? Wo mochte das

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