Der Weg in die Verbannung
auf den Prärien und in den Wäldern ist getaut, die Erde trinkt, das Gras sprießt, und die Knospen der Bäume brechen auf. Können deine Augen sehen, Mattotaupa? Hier siehst du zehn Krieger vom Stamme der Dakota. Sie stehen wieder auf dem Boden ihrer Heimat. Aber sie sind gefangen und geschlagen, wie man Wölfe und Füchse fängt und schlägt. Väter von uns, Brüder von uns, Söhne und Töchter sind vor den weißen Verfolgern geflohen und in die Wildnis des Nordens, nach Kanada, gegangen. Wir wurden von ihnen getrennt, aber wir möchten ihnen folgen. Der Weg zu ihnen kann von hier aus nicht mehr weit sein. Was rätst du uns? Wir sind unruhig wie dürstende Büffel, die plötzlich das Wasser wittern.«
»Geht«, sagte Mattotaupa ohne Zögern.
»Die weißen Männer werden uns hindern.«
»Sie werden es versuchen, aber ihr müßt listig sein. Ihr seid wenige. In der Nacht, während der Vorstellung, oder bei Morgengrauen müßt ihr euch die Haare abschneiden sie wachsen nach! , ihr müßt Kleider wie die weißen Männer anlegen, und dann geht ihr und zerstreut euch. Ihr kennt das Land hier und werdet euch leicht wieder treffen.«
»Wir besitzen keine Kleider wie die weißen Männer.«
»Singender Pfeil kauft sie euch noch heute. Ich gebe ihm Gold und Silber mit dem Zeichen des Donnervogels.«
»So warten wir darauf, daß er uns solche Kleider bringt.«
»Hau. Aber auch ich habe eine Frage an euch!«
»Sprich.«
»Werdet ihr den Namen der Dakota auch heute noch schänden und die weißen Männer glauben machen, daß ihr ein Mädchen martert?«
Auf diese Frage hin herrschte langes Schweigen. »Was sollen unsere Männer tun?« fragte der Alte schließlich.
»Was ich befehle. Heute werde ich euch führen, wenn ihr die Postkutsche anhaltet und das Mädchen herausholt.«
»Hau, hau! Mattotaupa handelt wie unser Häuptling. Wir werden ihm gehorchen!«
Der Älteste und Mattotaupa rauchten die Pfeife miteinander, obgleich das Rauchen auf dem Zirkusgelände streng verboten war. Aber Mattotaupa besaß noch Tabak und Feuerzeug.
Als die Pfeife ausging, stand Harka bei dem Jungen, der in der Eselsnummer mitwirkte. Mattotaupa händigte Singendem Pfeil einige Dollar aus. Dabei horchte er auf, denn draußen auf dem Gelände machte sich eine große Unruhe bemerkbar. Menschen begannen umherzurennen. Rufe ertönten. Es schien, daß jemand gesucht wurde. Mattotaupa und Harka verließen daher schnell den Wagen. Bis zur Absperrung und auch auf dem Platz davor war jedoch alles leer, und sie konnten unbeobachtet bis zu den Stallzelten eilen. Jetzt verstanden sie die Aufregung.
»Die Tigerin ist weg! Tigra ist weg!«
Harka rannte zu den Raubtierkäfigen, um sich selbst zu überzeugen. Tatsächlich, Tigra war nicht zu sehen. Der Käfig war aber ordnungsgemäß geschlossen.
»Wo ist der Dompteur! Ronald, Ronald!«
Harka überlegte. Der Dompteur war nach der Probe schließlich in seinen Wohnwagen gegangen, das hatte der Junge beobachtet. Von da aus ließ sich vielleicht eine Spur finden, die weiteren Aufschluß gab. Während der Junge zu dem Wagen rannte, blieb Mattotaupa bei den Pferden im Stallzelt. Wenn die Tigerin frei umherlief, war zu fürchten, daß sie die Pferde anfiel. Doch zeigten auch die beiden Mustangs noch keine Zeichen der Unruhe; sie schienen kein Raubtier in ihrer nächsten Nähe zu wittern. An den Geruch der Raubtierkäfige, der sie in den ersten Wochen sehr gestört hatte, waren sie nun schon gewöhnt.
Merkwürdig war es, daß Frank Ellis sich nirgends blicken ließ. Er war doch sonst allgegenwärtig. Aber wahrscheinlich hielt er sich jetzt im Direktionswagen versteckt.
Wenn die Tigerin schon aus dem Zirkusgelände entlaufen war, mußte die Polizei benachrichtigt werden. Was für ein Aufruhr würde entstehen! Schon jetzt war das Durcheinander groß genug, und Singender Pfeil konnte den Zirkus verlassen und in die Stadt zum Einkauf gehen, ohne beachtet zu werden.
Harka hatte den Wagen des Dompteurs erreicht. Ronald, der zu den Stars des Unternehmens rechnete, bewohnte eine Wagenhälfte für sich allein. Der Junge klinkte auf, und da die Tür sich ohne Mühe öffnen ließ, trat er ein. Ganz leise zog er die Tür wieder hinter sich zu und blieb regungslos stehen. Er stand neben dem Inspizienten.
Auf dem Klappbett lag Ronald, noch im Kettenhemd. Er stützte sich auf einen Ellenbogen. Neben ihm auf der Bettstelle, die jeden Augenblick herunterzubrechen drohte, lag die Tigerin. Sie hatte dem Mann eine Tatze
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