Der Weg ins Dunkel
Kaffee längst kalt war und ein brauner Film auf seiner Oberfläche schwamm. Sie schüttelte den Becher, dann stellte sie ihn auf den Stapel Essensschachteln, die sich auf einer Ecke ihres Schreibtischs angesammelt hatten.
Acht Ordner, aus denen die Ecken einzelner Blätter herausragten, lagen vor ihr. Jeder trug den Stempel «Unfallbericht» und enthielt vertrauliche Daten aus dem Archiv der Minengesellschaft. Bear hatte sie den ganzen Tag lang durchgearbeitet und sich jede Menge Notizen gemacht. Inzwischen wimmelte es auf ihrem Notizblock von hervorgehobenen und unterstrichenen Informationen.
Aus den Unterlagen ging hervor, dass es in zwei der größten Coltanminen Australiens ähnliche Explosionen gegeben hatte. In einer anderen Mine waren plötzlich giftige Stoffe ausgetreten, sodass sie vorübergehend stillgelegt werden und Minecap, eine große australische Minengesellschaft, einen Überbrückungskredit bei der Regierung beantragen musste.
Bear hatte in den Unterlagen noch weitere Unglücke in Coltanminen gefunden – eins in Brasilien, zwei in Kanada und ein schlecht dokumentiertes im Norden Mosambiks, wo es ebenfalls eine Explosion gegeben hatte.
Bear befragte ihren Laptop nach den Fördermengen der ersten beiden Quartale weltweit. Im Durchschnitt waren sie um dreiundzwanzig Prozent gesunken. Nur die Coltanminen in China, im Kongo und eine kleinere in Indonesien wiesen konstante Fördermengen auf. Bear kreiste die 23 auf ihrem Notizblock ein, dann zeichnete sie einen abwärts gerichteten Pfeil.
Sie stand auf, streifte die High Heels ab und stöhnte leise, als sie die Zehen auf dem dünnen Büroteppich ausstreckte. Sie zwirbelte ihr dichtes Haar um eine Hand und steckte es auf dem Kopf mit einer großen zerkauten Büroklammer fest. Dann massierte sie Hals und Nacken und spürte, wie verspannt sie war. Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, war einfach nichts für sie, es machte sie steif und müde.
An der Pinnwand über ihrem Schreibtisch hing ein kleines Polaroidfoto, das ihren Mann und ihren zweijährigen Sohn Nathan zeigte. Einen Moment lang ließ sie den Blick auf dem lächelnden Gesicht ihres Sohnes ruhen und seufzte schwer, während sie entspannt die Schultern sinken ließ. Nathans Lächeln war so unkompliziert. Er lebte ganz im Hier und Jetzt, ob er nun glücklich oder traurig war, und ahnte noch nichts von den Problemen, die viele Erwachsene beinahe zu erdrücken drohten.
Bear betrachtete seine glatten Wangen und seine schwarzen Locken. Ihr Mann, Jamie, wollte immer, dass sie Nathan die Haare schnitt, weil die anderen Kinder ihn sonst bald als Mädchen verspotten würden, aber noch konnte sie sich dazu nicht überwinden. Sie liebte es, wenn Nath morgens zu ihnen ins Ehebett kroch, sein Fläschchen trank und seinen Lockenkopf in ihre Halsbeuge schmiegte. Er war eine perfekte Mischung seiner Eltern, nicht nur, was seine Hautfarbe anging, die etwas heller als Bears und etwas dunkler als Jamies war, sondern auch seine Augen, sein ovales Gesicht und sogar seine schiefen Zehen.
Bear sah auf die Wanduhr und fluchte leise. Es war halb acht, und sie hatte Jamie versprochen, rechtzeitig zu Hause zu sein, um Nathan zu Bett zu bringen. Sie schloss die Augen und atmete die trockene Büroluft aus. Jetzt war es so spät geworden, dass sie Nath heute Abend nicht sehen und sich auch noch Ärger mit Jamie einhandeln würde. Sie sah schon förmlich sein Gesicht vor sich, wenn sie zur Tür hereinkam: ein einziger stummer Vorwurf. Er behauptete immer, Nathan litte darunter, dass sie manchmal bis spätabends arbeiten musste, aber sie wusste genau, dass es in Wahrheit nur um seine eigenen Gefühle ging. In letzter Zeit hatte sie regelrechte Schuldgefühle entwickelt, weil sie nicht genug Zeit für ihren Sohn hatte, angeblich die Arbeit über die Familie stellte und ihren Mann kränkte, wenn sie mehr verdiente als er.
Schon seit Monaten lebten sie und Jamie praktisch nebeneinander her. Auch wenn sie miteinander sprachen, kommunizierten sie nicht wirklich. Alles drehte sich nur um das Kind. Anderes blieb unausgesprochen oder führte explosionsartig zum Streit, wenn sie einmal einen Moment für sich hatten. Bear schlug die Augen wieder auf, seufzte noch einmal und wandte sich dann wieder ihrem Computer zu. Wenn Jamie ihr heute ohnehin eine Szene machte, konnte sie genauso gut noch weiterarbeiten.
Als das Telefon klingelte, dauerte es eine Weile, bis sie es unter all den ausgebreiteten Papieren fand.
«Madame Makuru»,
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