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Der Weg ins Dunkel

Der Weg ins Dunkel

Titel: Der Weg ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Woodhead
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Museums.
    Mitten auf dem Schreibtisch stand eine große Glaskugel mit geschwungenen Henkeln, die wie Engelsflügel aussahen. In der Kugel befanden sich drei Schmetterlinge. Mit geschlossenen Flügeln hockten sie ganz still da und zeigten nur die moosfarbene Unterseite ihrer Flügel mit symmetrischen Augen-Zeichnungen. Dann und wann öffneten sich die Flügel ein Stückchen und ließen ein betörendes Blau aufschimmern. Das Blau hatte einen metallischen Glanz, der an Strahlkraft gewann, je weiter sich die Flügel öffneten.
    Jian senkte den Kopf immer tiefer, während er darauf wartete, dass ein Schmetterling die Flügel ganz öffnen würde. Minutenlang hielt er die Augen offen, ohne zu blinzeln.
    «General, Xie Zhaoguo ist da. Darf ich ihn hereinbitten?»
    Xie, der gleich darauf leise ins Zimmer schlurfte, blieb kurz hinter der Tür stehen und kniff die Augen zusammen, um sich an das Zwielicht zu gewöhnen. Langsam begannen sich Konturen abzuzeichnen, und Xie sah, dass praktisch jeder Zentimeter der hohen Wände mit Bilderrahmen bedeckt war. Es mussten Hunderte sein, bis hinauf zu der gewölbten Decke.
    «Ich freue mich, Sie kennenzulernen, General», sagte Xie und lächelte unsicher.
    Jian antwortete nicht. Er war so tief über den Tisch gebeugt, dass Xie nur seinen Hinterkopf sehen konnte.
    Xie wartete und wartete. Schließlich räusperte er sich und sagte: «Bitte entschuldigen Sie die Störung.»
    Es klang höflich und beinahe aufrichtig. Das bewog Jian, sich langsam aufzurichten. Der Lichtstrahl kam durch ein Fenster hinter Jian, sodass sein Gesicht für Xie im Dunkeln blieb, vor allem seine schwarzen, tief liegenden Augen.
    «Es ist mir stets ein Vergnügen, ein Mitglied der Gilde kennenzulernen», sagte Jian fast tonlos.
    Xie schlurfte etwas näher auf den Schreibtisch zu. Er bewegte sich so zögerlich, dass es nicht sicher zu sein schien, ob er es bis zum Schreibtisch schaffen würde. Nahe der Stelle, wo der Lichtstrahl auf den Boden traf, blieb er kurz stehen, den Blick unverwandt auf Jian gerichtet.
    Als er schließlich weiterging, sah Jian sein rundes Gesicht mit den dunklen Augenringen. Der Mann schien seit Jahren unter Schlaflosigkeit zu leiden und sah vollkommen erschöpft, blass und dehydriert aus. Obwohl er noch nicht alt war, waren seine Augenwinkel von tiefen Falten durchzogen.
    «Schmetterlinge», sagte er und lächelte vage. «Das nennt sich Entomologie, nicht wahr?»
    Mit Blick auf Xies müde Augen und wirres Haar fragte sich Jian, wie alt er wohl war. Zwischen Mitte dreißig und fünfzig war alles möglich.
    «Entomologie ist Insektenkunde», korrigierte er Xie. «Die Lehre von Schmetterlingen und Motten ist die Lepidopterologie.»
    «Lepidopterologie», wiederholte Xie so gedehnt, als versuchte er sich das Wort einzuprägen.
    Jian beobachtete ihn. Es widerstrebte ihm, mit einem Gildenmitglied höflich Konversation zu machen. Normalerweise kamen die Bastarde ohne Umschweife zur Sache und verlangten von Jian Rechenschaft über jeden einzelnen Yuan, den er für das Satellitenprogramm benötigte.
    Xie legte eine Hand auf den Schreibtisch, und Jian beobachtete jede seiner Bewegungen. Ihm entging nichts, auch nicht, dass Xie den kleinen Finger abspreizte und die Hand so fest auf die Schreibtischplatte drückte, dass die Haut über den Fingerknöcheln ganz weiß wurde.
    «Zu welcher Art gehören diese hier?», fragte Xie, hob die andere Hand und berührte mit dem Zeigefinger die Glaskugel. Als er ihn wieder wegnahm, blieb ein kleiner Fettfleck auf dem polierten Glas zurück.
    Jians Blick wurde hart. «Blaue Morphofalter. Sie kommen aus Südamerika», sagte er und wunderte sich, wie sanft seine Stimme klang. Es musste daran liegen, dass selbst der Name dieser seltenen Falter ihn berauschte. Erst heute Morgen waren sie aus Kolumbien eingetroffen, und schon bald würden sie die Prunkstücke seiner Sammlung sein.
    Plötzlich öffnete ein Schmetterling die Flügel, und ein elektrisierendes Blau brach das weiße Sonnenlicht wie eine Fata Morgana. Die Farbe war intensiv und zart zugleich, unterbrochen von feinsten Äderchen, die sich fächerförmig über die Flügel zogen und an den Spitzen zu schwarzen Flecken verdichteten.
    «Wunderschön», sagte Xie und sah genauer hin.
    Jian erstarrte und betrachtete die Schmetterlinge mit einem Blick, als sei er ihrer plötzlich überdrüssig. «Ja», sagte er kurz angebunden. «Recht schön.»
    Der Schmetterling schloss die Flügel wieder, und wo eben noch das

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