Der Weg ins Dunkel
schluchzte noch einmal auf, wischte sich dann mit dem Ärmel über die Augen und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was jetzt zu tun war. Sie mussten hier raus.
«Da», sagte Bear und zeigte auf die abgerissene Tür auf Lucas Seite. Sie stand offen und neigte sich über das schlammige Wasser.
«Was ist mit der Tür auf deiner Seite?», fragte Luca.
«Klemmt.» Bear bewegte sich auf Lucas Sitz zu und stöhnte laut auf. Ihre Schulter tat höllisch weh. Mit Hilfe des heilen Arms versuchte sie sich aus ihrem Sitz zu stemmen.
Luca fuhr mit den Händen an seinen Gürtel, an dem immer ein Messer hing, und zog es heraus. «Damit kann ich deine Tür aufbrechen.»
«Das dauert zu lange. Wir müssen auf deiner Seite raus und unter der Maschine durchtauchen.»
Luca griff ihr unter die Arme, um ihr herauszuhelfen, dann zögerte er, weil er wusste, wie weh er ihr tun würde, sobald er richtig zupackte.
«Mach weiter», presste sie hervor.
Luca drehte und zog sie in seine Richtung und musste die Kraft seiner Schenkel nutzen, um sich gegen ihr Gewicht zu stemmen. Vor Anstrengung traten seine Halsadern hervor, als er Bear Stück für Stück aus ihrem Sitz hievte. Ihre Beine schabten über den gebrochenen Steuerknüppel, sodass er ihre Hose aufschlitzte. Bears verletzte Schulter ragte in einem unnatürlichen Winkel über dem Gashebel auf, der darin steckte. Aus ihrer Lunge kam ein gurgelndes Geräusch, als Luca sie noch weiter zu sich herüberzog. Er nahm alle Kraft zusammen, dann bekam er ihre Beine frei, die unkontrolliert in den Fußraum rutschten. Bears Oberkörper lag jetzt auf Luca. Der Schmerz in ihrer Schulter war so stark, dass sie nur flach atmen konnte.
Die ganze Zeit über hielt sie die Augen geschlossen. Jetzt öffnete sie sie und sah, dass das Wasser nicht nur zur Tür, sondern auch durch ein Loch neben René ins Cockpit strömte. Es hatte schon seinen Kopf erreicht, glättete seine krausen Haare und floss ihm in den offenen Mund.
Wie erstarrt sah Luca in dieselbe Richtung.
«Wir müssen ihn zurücklassen», wisperte Bear. «Er ist tot.»
Luca schloss kurz die Augen. Er wusste, dass sie recht hatte. Das Wasser umspülte Renés Schultern und Hals, und Luca wusste, dass er den Freund nie wiedersehen würde. Plötzlich überkam ihn der Wunsch, bei ihm zu bleiben, als eine Art gerechter Strafe.
«Komm schon, Luca!», sagte Bear und stieß ihm in die Seite.
Er nahm sie bei der Hand, und sie hielt sich an ihm fest. Dann holte er tief Luft und stürzte sich in das schlammige Wasser.
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Kapitel 16
Der Hubschrauber, ein Oryx, setzte mit den Hinterrädern auf. Die Motoren wurden mit dumpfem Geheul heruntergefahren, und der Luftwirbel unter den Rotoren versetzte die Stauhitze auf dem Asphalt in Schwingungen.
Jean-Luc kletterte vom vorderen Passagiersitz und warf die Tür hinter sich zu. Mit wuchtigen Schritten ging er über das offene Rollfeld des Kigali International Airport und schützte seine Augen mit erhobenem Unterarm vor der unbarmherzigen Mittagssonne. Die Temperatur betrug 42 Grad im Schatten, und sein durchgeschwitztes weißes Hemd klebte ihm am Rücken und unter den Armen auf der Haut.
Er steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und zündete ein Streichholz an, dann riss er den Kopf hoch, weil die Flamme höher aufloderte als gewöhnlich. Rauch stieg ihm in die Augen, und er fluchte laut, als er auf das Flughafengebäude zuging.
«Willkommen in Ruanda», sagte ein junger Flughafenangestellter und hob grüßend den Arm. «Ihren Pass, bitte.»
Jean-Luc griff in seine Brusttasche und knallte seinen Pass auf den Tresen. Gereizt sah er den Angestellten an und reckte kampflustig das Kinn vor.
Der junge Mann verglich das Passfoto mit Jean-Lucs Gesicht. Er wollte etwas sagen, griff dann aber nach einem abgenutzten Handbuch und fingerte daran herum, als versuchte er, etwas in Braille zu entziffern. Schließlich sagte er: «Wie lange wollen Sie …» Er zögerte, als er Jean-Lucs grimmiges Gesicht sah. Dann setzte er wieder an. «Wie lange wollen Sie bleiben … hier in Kigali, meine ich?»
Jean-Luc schüttelte den Kopf. «Können Sie nicht lesen?» Er entblößte die von Nikotin vergilbten Zähne.
Der junge Mann sah noch einmal auf den Pass. Der Stempel «Diplomat» war so verblasst, dass er ihm nicht gleich aufgefallen war. «Oh, alles in Ordnung. Sie können passieren.»
Wortlos nahm Jean-Luc seinen Pass wieder an sich und ging über den Marmorfußboden auf den
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