Der Weg ins Dunkel
Fluss entfernt, trotzdem er war bereits drauf und dran, die Orientierung zu verlieren.
«Geh einfach weiter», sagte Bear und drückte die rechte Hand auf ihre verletzte Schulter. Sie ging dicht hinter Luca, konzentrierte sich darauf, wohin er die Füße setzte, und versuchte mitzuhalten. Der Schmerz in ihrer Schulter raubte ihr die Kraft, und ihr war übel. Die zunehmende Hitze machte es nur noch schlimmer. Sie beugte sich vor, stützte ihren Arm aufs Knie und wischte sich mit dem T-Shirt den Schweiß von der Stirn. Die weiße Baumwolle war inzwischen schmutzig braun, und unter der linken Armbeuge saß ein angetrockneter rostroter Blutfleck.
«Wir müssen so viel Abstand wie möglich zwischen uns und die Absturzstelle bringen», fuhr sie fort. «Sie werden sich denken können, dass René nicht der Einzige an Bord war. Also suchen sie uns.»
Aber Luca brauchte keine Aufforderung, um weiter durchs Unterholz zu pflügen. Mit abgehackten, schwerfälligen Bewegungen kämpfte er sich den Weg frei. Zweige schlugen ihm ins Gesicht und zerrten an seiner Kleidung. Dass es überall gleich aussah und man nicht voranzukommen schien, entmutigte ihn. Seit vier Stunden hatte er nicht länger als ein paar Sekunden stillgestanden. Er bog einen niedrigen Zweig zur Seite und trat ihn mit der Hacke in den Boden. Als er hinüberging, knackte es laut.
«Hör endlich auf, eine kilometerbreite Spur zu legen, Luca! Sie sind hinter uns her!»
«Hier drin?», gab er mürrisch zurück und machte eine ausladende Handbewegung durch den unwegsamen Dschungel. «Ich kann nicht mal bis zu meinen eigenen Händen sehen. Wie zum Teufel sollen die uns hier finden?»
Er hob ein Stück Holz auf und warf es weg. Es fiel gegen eine undurchdringliche Blätterwand, prallte daran ab und fiel wieder zu Boden.
«Entends-moi!»
, sagte Bear und fasste ihn von hinten am Arm. «Hör zu, die LRA lebt in diesem Wald. Sie kennen jeden Baum und Strauch. Glaub mir, Luca, die haben kein Problem, unsere Spur zu finden. Jeder abgebrochene Zweig, jeder Fußabdruck ist wie ein riesengroßes Hinweisschild für sie.»
Luca drehte sich zu ihr um. Vor Anstrengung ging sein Atem ganz flach. Er wollte etwas sagen, doch dann ließ er die Schultern sinken, und sein ganzer Körper schien in sich zusammenzusacken.
«Andauernd sehe ich sein Gesicht vor mir», murmelte er. «Wie es im Wasser versinkt. Und wir haben ihn einfach da liegen lassen … Er wird im Fluss verfaulen …»
Bear drückte seinen Arm und spürte, wie sein Blut pulsierte. «Wir müssen weiter, Luca. Um alles andere kümmern wir uns später.»
Luca starrte vor sich hin. «Als ob ein Fluch auf mir lastet», murmelte er. «Ein verdammter Fluch, der bewirkt, dass alles um mich herum kaputtgeht, nur ich bleibe heil.»
«So ein Unsinn! Wer wollte diesen Flug denn unbedingt machen, Luca? Das war er! Niemand hat ihn dazu gezwungen, also zieh dir diesen Schuh nicht an!»
Luca riss sich von Bear los. «Sag du mir nicht, wie ich mich zu fühlen habe! Du weißt nicht das Geringste über mich.»
Bear trat einen Schritt zurück und zählte die Sekunden. Wut strömte aus jeder Pore in Lucas Körper. Er ballte die Hände zu Fäusten, bis sich Sehnen und Muskeln an seinen Armen abzeichneten. Es erinnerte Bear an etwas, aber sie konnte es nicht orten. Jetzt war keine Zeit, um darüber nachzudenken.
«Sieh mich an, Luca», sagte sie freundlich, doch er reagierte nicht.
«Eh, regarde-moi!»
Langsam drehte er sich um.
Als Bear weitersprach, versuchte sie sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen. «Du bist nicht der Erste, der so etwas erlebt, Luca. Aber wir müssen jetzt an uns denken. Wir müssen diese Schweine so weit wie möglich hinter uns lassen. Denn wenn sie uns in die Finger kriegen, töten sie uns. Das ist gar keine Frage.»
Luca stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief durch. Nach einer Weile nickte er langsam. «Okay.» Er richtete sich wieder auf und versuchte seine Gefühle beiseitezuschieben, so wie er es im Himalaja oft genug getan hatte. Trotzdem tauchte Renés Gesicht immer wieder vor ihm auf. Er versuchte, gleichmäßig zu atmen und sich darauf zu konzentrieren, einen Weg aus dem Dschungel zu finden. Dann sagte er noch einmal: «Okay», und sah Bear an. Die Wunde in ihrer Schulter war wieder aufgerissen, und es tropfte Blut heraus. «Du blutest wieder», sagte er.
«Ich weiß. Ich kümmere mich darum, wenn wir hier raus sind.»
Langsam wurde es dunkel, und bald würde die Nacht
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