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Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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sie überhaupt noch nie weinen sehen -, aber ihr Gesicht und ihre Augen!
    »Ich muss mit meiner Arbeit weitermachen«, sagte sie. »Gerade jetzt ist das meine Pflicht.«
    Ich hätte das nie geschafft; das muss man ihr wirklich hoch anrechnen.
    Auch ihre Worte verrieten keinen Schmerz, außer einmal, als Susan sagte, endlich sei es Frühling. Da sagte Gertrude: »Kann es dieses Jahr wirklich Frühling werden?« Dann lachte sie -aber es war ein ganz schreckliches Lachen, so wie man vielleicht dem Tod ins Gesicht lacht, und sie sagte: »Ich weiß, das ist egoistisch. Bloß weil ich, Gertrude Oliver, einen Freund verloren habe, soll man sich nicht vorstellen können, dass es Frühling wird wie immer. Wieso sollte der Frühling ausbleiben, bloß weil Millionen Menschen leiden - aber wenn ich leide -, ach, wie kann die Welt sich nur weiterdrehen?«
    »Sie dürfen nicht so hart mit sich sein«, sagte Mutter freundlich. »Wenn ein solcher Schlag unser Leben verändert, dann ist es ganz natürlich, wenn man das Gefühl hat, nichts kann so weitergehen wie bisher. Das geht jedem so.«
    Darauf hub diese schreckliche alte Cousine Sophia an. Sie saß da und strickte und jammerte und krächzte »wie ein alter Rabe«, wie Walter immer gesagt hatte.
    »Es gibt Leute, denen geht es schlechter als Ihnen, Miss Oliven, sagte sie, «das müssen Sie nicht so schwer nehmen. Manche haben ihre Ehemänner verloren; das ist ein harter Schlag! Und manche ihre Söhne. Sie haben doch weder einen Mann noch einen Sohn verloren.«
    »Nein«, sagte Gertrude barsch. »Stimmt, ich habe nicht meinen Mann verloren. Ich habe nur den Mann verloren, der mein Mann geworden wäre. Stimmt, ich habe keinen Sohn verloren - nur die Söhne und Töchter, die ich vielleicht bekommen hätte und die ich jetzt nie mehr bekomme.«
    »Es gehört sich nicht für eine Dame, so zu reden«, sagte Cousine Sophia schockiert. Darauf musste Gertrude laut lachen, so laut, dass Cousine Sophia es mit der Angst zu tun bekam. Und als die arme Gertrude es nicht länger ertragen konnte und aus dem Zimmer lief, da meinte Cousine Sophia zu Mutter, ob dieser Schlag vielleicht Miss Olivers Gemüt angegriffen hätte.
    »Ich musste den Verlust von zwei sehr guten Freunden ertragen', sagte sie. »Aber so hat mich das nicht getroffen.«
    Das glaube ich auch. Die armen Männer müssen froh gewesen sein, dass sie sterben durften.
    Ich habe gehört, wie Gertrude fast die ganze Nacht in ihrem Zimmer auf und ab gewandert ist. Jede Nacht ging sie auf und ab, aber in jener Nacht besonders lang. Und einmal hörte ich einen kurzen Schrei, als ob sie erdolcht würde. Ich konnte nicht schlafen, weil sie mir so Leid tat; und ich konnte ihr nicht helfen. Ich dachte, die Nacht ginge nie zu Ende. Aber dann ging sie doch zu Ende, und »Freude kam am Morgen«, wie die Bibel sagt. Genau genommen kam die Freude nicht am Morgen, sondern am späten Nachmittag. Das Telefon läutete und ich ging dran. Es war die alte Mrs Grant aus Charlottetown. Sie sagte, es wäre alles ein Irrtum gewesen, Robert wäre überhaupt nicht gefallen. Er wäre nur am Arm leicht verletzt worden und läge jetzt für einige Zeit sicher im Krankenhaus. Niemand wisse bis jetzt, wie es zu dem Irrtum gekommen sei, aber wahrscheinlich hätte es noch einen mit dem Namen Robert Grant gegeben.
    Ich hängte den Hörer ein und flog hinunter zum Regenbogental. Ja, bestimmt, ich flog, ich kann mich nicht erinnern, auch nur einmal den Boden berührt zu haben. Ich traf Gertrude auf dem Heimweg von der Schule, bei den Fichten, wo wir früher gespielt haben. Atemlos platzte ich mit der Neuigkeit heraus. Ein bisschen mehr Verstand hätte ich schon haben können!
    Ich als Arzttochter! Aber ich war so verrückt vor Freude und Aufregung, dass ich mir einfach keine Gedanken machte. Gertrude fiel in Ohnmacht, mitten in das leuchtende junge Farnkraut hinein, als ob sie jemand erschossen hätte. Der Schreck ist mir - zumindest in dieser Hinsicht - für den Rest des Lebens eine Lehre. Ich dachte, sie wäre tot, mir fiel ein, dass ihre Mutter schon in jungen Jahren ganz plötzlich an Herzversagen gestorben war. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis ich merkte, dass ihr Herz noch schlug. Das war vielleicht lustig] Ich habe noch nie jemand in Ohnmacht fallen sehen, und ich konnte keine Hilfe holen, weil niemand zu Hause war. Sie waren alle zum Bahnhof gegangen, um Di und Nan abzuholen, die aus Redmond kamen. Aber ich wusste - theoretisch zumindest -, was man tun muss,

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