Der Weg ins Glueck
Distinction-Cross-Medaille - überreicht hatte. Wofür, das schrieb er nicht, aber die anderen Jungen sorgten dafür, dass es sich in Gien herumsprach, wie tapfer Walter gewesen war. »In jedem anderen Krieg hätte er eine V. C. - Victory-Cross-Medaille - bekommen«, schrieb Jerry Meredith. »Aber eine V. C. wäre gar nichts Außergewöhnliches mehr, wenn sie allen verliehen würde, die hier tagtäglich mutige Taten vollbringen.«
»Ich finde, er hat die Victory Cross verdient!«, sagte Susan empört. Sie war sich zwar nicht ganz sicher, wem genau sie die Schuld daran geben sollte, dass er sie nicht bekommen hatte, aber angenommen, General Haig steckte dahinter, dann überkamen sie doch ernsthafte Zweifel, ob der sich wirklich zum Oberbefehlshaber eignete.
Rilla war ganz außer sich vor Freude. Ihr geliebter Walter hatte eine tapfere Tat vollbracht - Walter, dem jemand auf dem Redmond-College eine weiße Feder geschickt hatte! Walter war es gewesen, der aus dem sicheren Schützengraben gesprungen war, um einen verwundeten Kameraden hereinzuziehen, der auf Niemandsland gefallen war. Zu gern hätte sie ihn dabei gesehen, mit seinem schönen Gesicht und seinen wundervollen Augen. Und sie, sie war die Schwester eines so großen Helden! Und für ihn war es noch nicht mal der Mühe wert, davon zu schreiben. So viele andere Dinge standen in seinem Brief, kleine, sehr persönliche Dinge, die sie in wolkenlosen, längst vergangenen Tagen miteinander geteilt hatten.
»Ich muss an die Narzissen denken in unserem Garten von Ingleside«, schrieb er. »Bis du diesen Brief bekommst, werden sie bestimmt schon in voller Blüte stehen unter dem schönen, rosaroten Himmel. Sind sie wirklich genauso leuchtend und golden wie immer, Rilla? Eigentlich müssten sie rot gefärbt sein von Blut, so wie die Mohnblumen, die hier wachsen. Und jedes Frühlingsflüstern wird sich im Regenbogental in ein Veilchen verwandeln.
Heute ist Neumond. Schmal und silbern hängt er über diesen Elendsgräben. Ob du ihn heute Abend auch siehst über dem Ahornwäldchen? Ich lege ein Stück Papier mit einem Gedicht bei. Ich habe es eines Abends auf meinem Platz im Schützengraben geschrieben, beim Schein eines Kerzenstummels, das heißt, dort ist es mir eingefallen. Ich hatte gar nicht das Gefühl, als ob ich es schreibe - es war, als würde mich irgendetwas als Instrument benutzen. So etwas ist mir schon ein-oder zweimal passiert, aber nur sehr schwach, nie so stark wie diesmal. Deshalb habe ich es diesmal an die Londoner Zeitung Spectator geschickt. Sie haben es gedruckt und heute habe ich die Kopie davon bekommen. Ich hoffe, es gefällt dir. Es ist das einzige Gedicht, das ich seit meiner Überfahrt geschrieben habe.«
Das Gedicht war kurz, aber sehr rührend. In nur einem Monat trug es Walters Namen um die ganze Welt. Überall wurde es veröffentlicht: in den Tageszeitungen der großen Städte und in den Wochenblättern der kleinen Dörfer, in kritischen Zeitschriften und »Seufzerspalten«, in Rotkreuzaufrufen und in der Rekrutierungspropaganda der Regierung. Mütter und Schwestern brachen beim Lesen in Tränen aus jugendliche waren ganz hingerissen davon, für die Menschen auf der ganzen Weit war es der Inbegriff all des Schmerzes, der Hoffnung, des Elends und des Zieles dieses ungeheuren Konflikts, der in drei kurzen, unvergänglichen Versen seinen Ausdruck fand. Ein junger Kanadier aus den Schützengräben von Flandern hatte das Kriegsgedicht geschrieben. Der Pfeifer von Walter Blythe war von seiner ersten Veröffentlichung an ein Klassiker.
Rilla schrieb es an den Anfang eines Tagebuchkapitels, in dem sie von der schweren Zeit der vergangenen Woche berichtete.
»Es war eine ganz schreckliche Woche«, schrieb sie. »Obwohl sie jetzt vorbei ist und obwohl wir jetzt wissen, dass alles ein Irrtum war, hat sie ihre Spuren hinterlassen. Anders gesehen war es eine sehr schöne Woche, und ich habe ein paar ganz neue Erfahrungen gewonnen - nämlich wie freigebig und wie mutig die Menschen inmitten all dieses Schreckens sein können. Miss Oliver hat sich hesonders großartig verhalten, das könnte ich nie.
Vor genau einer Woche bekam sie einen Brief von Mr Grants Mutter aus Charlottetown. Sie schrieb, sie hätte gerade ein Telegramm bekommen, dass Major Robert Grant vor ein paar Tagen gefallen sei.
Die arme Gertrude! Zuerst war sie erschüttert. Aber schon einen Tag danach riss sie sich zusammen und ging wieder in die Schule. Sie weinte nicht - ich habe
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