Der Weg ins Glueck
da herumwüte, werde ich die ganze Zeit an die Zustände denken müssen, die zurzeit um Trient herum herrschen. Ich mag diese Streiche der Österreicher nicht, liebe Frau Doktor.«
»Ich auch nicht«, sagte Anne niedergeschlagen. »Den ganzen Vormittag habe ich mit meinen Händen Rhabarber eingekocht, aber in Gedanken wartete ich nur auf die neuesten Kriegsmeldungen. Und als sie dann kamen, fühlte ich mich ganz kraftlos. So, ich glaube, ich muss mich auch langsam für die Andacht fertig machen.«
Jedes Dorf hat seine eigene kleine Geschichte, die von einer Generation zur anderen mündlich überliefert wird. Sie handeltvon traurigen, komischen und dramatischen Ereignissen. Sie werden auf Hochzeiten und sonstigen Festlichkeiten weitererzählt und im Winter vor dem Kaminfeuer zum Besten gegeben. Und in diesen mündlichen Überlieferungen von Gien St Mary sollte die gemeinschaftliche Gebetsstunde, die an diesem Abend in der Methodistenkirche stattfand, einen unvergänglichen Platz einnehmen.
Die gemeinschaftliche Gebetsstunde war Mr Arnolds Idee. Das Bezirksbataillon, das den ganzen Winter über in Charlottetown auf Truppenübung gewesen war, sollte in Kürze nach Übersee gehen. Die ihm angehörenden Jungen aus Four Winds Harbour, das sich zusammensetzte aus den verschiedenen Ortschaften Gien Overharbour, Harbour Head und Upper Gien, waren alle noch einmal auf Urlaub nach Hause gekommen. Da hatte Mr Arnold die gute Idee, für alle zusammen eine Andacht abzuhalten, bevor sie in den Krieg zogen. Nachdem Mr Meredith zugestimmt hatte, wurde also diese gemeinschaftliche Gebetsstunde in der Methodistenkirche angekündigt. Normalerweise waren die Gebetsstunden von Gien nicht sehr gut besucht, aber an diesem besonderen Abend war die Methodistenkirche mehr als voll. Wer hingehen konnte, ging. Sogar Miss Cornelia kam, und das war das erste Mal in ihrem Leben, dass Miss Cornelia einen Fuß in eine Methodistenkirche setzte. Nichts außer einem Weltkrieg hätte sie je zu diesem Schritt bewegen können.
»Ich habe die Methodisten immer gehasst«, sagte Miss Cornelia in aller Ruhe, als ihr Mann sich darüber wunderte, dass sie dorthin gehen wollte. »Aber jetzt hasse ich sie nicht mehr. Es ist doch unsinnig, Methodisten zu hassen, wenn es Leute wie den Kaiser oder Hindenburg auf der Welt gibt.«
Miss Cornelia ging also hin. Auch Norman Douglas und seine Frau kamen. Und Mondgesicht-mit-Schnauzbart stolzierte das Seitenschiff hinauf, um sich einen Platz in den vorderen Kirchenbänken zu sichern. Schließlich war es doch eine Ehre, dass er hier erschien. Die Leute staunten tatsächlich nicht schlecht ihn zu sehen, wo er doch sonst jede Versammlung mied, die in irgendeiner Weise mit dem Krieg zu tun hatte. Doch Mr Meredith hatte gesagt, er hoffe, dass seine Versammlung gut repräsentiert würde, und diesen Wunsch hatte sich Mr Pryor offensichtlich zu Herzen genommen. Er trug seinen besten blauen Anzug mit weißer Krawatte, seine dichten, eisengrauen Locken waren sorgfältig gekämmt, und sein rotes rundes Gesicht sah scheinheiliger aus denn je, wie Susan unbarmherzig feststellte.
»ln dem Augenblick, als ich diesen Mann in die Kirche kommen sah, habe ich schon das Schlimmste kommen sehen, liebe Frau Doktor«, sagte sie hinterher. »Was das genau war, hätte ich nicht zu sagen gewusst, aber ich habe seinem Gesicht angesehen, dass sein Besuch nichts Gutes bedeutete.«
Die Gebetsstunde begann wie üblich und verlief zunächst ruhig. Mr Meredith sprach als Erster und seine Worte waren wie immer treffend und voller Mitgefühl. Es folgte Mr Arnold mit einer einwandfreien Rede.
Doch dann bat Mr Arnold Mr Pryor, das Gebet einzuleiten. Miss Cornelia hatte ja immer schon behauptet, Mr Arnold besäße keinen gesunden Menschenverstand. In Bezug auf Nächstenliebe irrte sich Miss Cornelia bei Methodistenpfarrern nicht so leicht, aber auch in diesem Fall lag sie nicht ganz daneben. Pfarrer Arnold besaß tatsächlich nicht viel von dieser wünschenswerten, undefinierbaren Fähigkeit namens gesunder Menschenverstand, sonst wäre er nie und nimmer auf den Gedanken verfallen, Mondgesicht-mit-Schnauzbart zur Gebetseinleitung bei einer Versammlung von Soldaten aufzufordern. Dabei wollte er sich doch nur bei Mr Meredith erkenntlich zeigen, der am Ende seiner Rede einen Methodistendiakon zur Gebetseinleitung aufgefordert hatte.
Einige Leute rechneten damit, dass Mr Pryor mürrisch ablehnen würde - das wäre schon skandalös genug gewesen. Doch Mr
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