Der Weg ins Glueck
lachte stillvergnügt in sich hinein.
Als Rilla fertig war, rollte Mrs Matilda Pitman ihren Strumpf zusammen.
»Jetzt kannst du gehen, wenn du willst«, sagte sie. »Aber du musst nicht. Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst, und ich werde Amelia damit beauftragen, dir die Mahlzeiten zu kochen.«
Miss Blythe, die sich doch für so überaus selbstständig hielt und der eine gewisse Mädchenclique vom Jugend-Rotkreuz vorwarf, herrisch und rechthaberisch zu sein, wurde immer kleiner.
»Danke«, sagte sie verschüchtert. »Aber wir müssen wirklich gehen.«
»Nun gut«, sagte Mrs Matilda Pitman und warf die Tür auf. »Dein Fahrer steht schon bereit. Ich habe Robert aufgetragen, das Pferd einzuspannen und dich zum Bahnhof zu bringen. Es macht mir Spaß, Robert herumzukommandieren. Das ist so ziemlich das einzige Vergnügen, das mir noch geblieben ist. Ich bin über achtzig, und die meisten Dinge haben ihren Reiz verloren, bis auf das, Robert zu schikanieren.«
Robert saß auf dem Vordersitz eines hübschen, zweisitzigen, gummibereiften Buggys. Er musste jedes Wort gehört haben, das seine Schwiegermutter gesagt hatte, aber er verzog keine Miene.
»Bitte«, sagte Rilla mit dem letzten bisschen Mut, »bitte darf ich mich - äh - äh«, und wieder fing sie vor Mrs Matilda Pitman zu stammeln an, »erkenntlich zeigen für - für -«
»Mrs Matilda Pitman sagte doch schon - und meinte das auch so -, dass sie kein Geld für die Bewirtung von Fremden nimmt. Und das gilt für alle Leute, die unter ihrem Dach wohnen, auch wenn die von Natur aus so gemein wären, Geld anzunehmen. Du fährst jetzt in die Stadt, und vergiss nicht hereinzuschauen, wenn du das nächste Mal in der Gegend bist. Du brauchst keine Angst zu haben. Sonst bist du doch auch nicht ängstlich, nehme ich an, so wie du heute Morgen mit Robert umgesprungen bist. Mir gefällt deine Beherztheit. Die meisten Mädchen heutzutage sind solche Angsthasen. Ich hatte als junges Mädchen vor nichts und niemandem Angst. Pass gut auf den Jungen auf. Der ist kein gewöhnliches Kind. Und sag Robert, er soll um alle Pfützen herumfahren. Ich will nicht, dass der neue Wagen gleich schmutzig wird.«
Als sie davonfuhren, warfjims Mrs Matilda Kusshändchen zu, solange er sie noch sehen konnte, und Mrs Matilda Pitman winkte ihm mit ihrem Strumpf nach. Robert sprach bis zum Bahnhof kein Wort, aber er passte gut auf die Pfützen auf. Als Rilla am Bahnsteig ausstieg, bedankte sie sich höflich bei ihm. Ein Knurren war alles, was als Antwort kam, dann wendete Robert sein Pferd und fuhr nach Hause zurück.
»So«, sagte Rilla und holte tief Luft, »jetzt muss ich zusehen, dass ich mich wieder in Rilla Blythe zurückverwandle. Die letzten Stunden bin ich irgendjemand anderes gewesen -wer, weiß ich auch nicht -, ein Geschöpf dieser merkwürdigen alten Frau. Ich glaube, sie hat mich hypnotisiert. Da werden die Jungen staunen, wenn ich ihnen das schreibe!«
Dann wurde sie plötzlich traurig und seufzte. Es waren ja nur noch Jerry und Carl und Shirley da, denen sie das schreiben konnte. Jem - er wäre bestimmt begeistert gewesen von Mrs Matilda Pitman. Wo konnte Jem nur sein?
Nachricht von Jem
4. August 1918
»Vier Jahre sind jetzt vergangen seit dem Tanzabend im Leuchtturm - vier Kriegsjahre. Mir kommt es dreimal so lang vor. Damals war ich fünfzehn. Jetzt bin ich neunzehn. Ich hatte mir vorgestellt, dass diese vier Jahre die herrlichste Zeit meines Lebens sein würden, und dabei war nichts als Krieg. Es waren Jahre voller Angst und Kummer und Sorge, aber vielleicht auch Jahre der Reife. Das hoffe ich zumindest.
Als ich heute durch den Flur ging, hörte ich zufällig, wie Mutter etwas über mich zu Vater sagte. Ich hatte gar nicht vor zu lauschen, aber ich kann nichts dafür, dass ich es auf dem Weg nach oben hörte. Deshalb habe ich vielleicht etwas gehört, was Lauscher angeblich niemals hören: etwas Gutes über mich.
Und weil es Mutter war, die das gesagt hat, schreibe ich es hier in mein Tagebuch, zum Trost für Zeiten, in denen ich wieder den Mut verliere und in denen ich mir wertlos vorkomme oder egoistisch oder schwach oder nichtsnutzig. »Rilla hat sich wirklich erstaunlich entwickelt in den letzten vier Jahren«, sagte Mutter. »Früher wollte sie doch von Verantwortung nichts wissen. Und jetzt ist sie so eine tüchtige junge Frau. Sie gibt mir so viel Trost. Nan und Di sind mir etwas entwachsen - sie waren so wenig zu Hause -, aber Rilla ist mir immer
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