Der Weg nach Kaarborg: Ragnor Band 2 (German Edition)
oder einfach Glück zum jeweiligen Erfolg oder Misserfolg geführt hatten. Planung und Taktik schien in der Kriegführung des Nordkontinents keine allzu große Bedeutung gehabt zu haben. Graf Rurig, Kastellan Svartan und Kommodore Menno schienen da rühmliche Ausnahmen von der Regel zu sein, da sie die bevorstehende Auseinandersetzung gründlich und mit viel Umsicht vorbereiteten, soweit Ragnor davon Kenntnis hatte. Der Grafen sah er zwar äußerst selten, aber Menno gab ihm, wenn er ihn hin und wieder in seiner Wohnung antraf, bereitwillig Auskunft, wann immer er es wünschte.
Aus den Gesprächen mit Rurig und Menno und durch persönliche Beobachtung auf Kaar erkannte der junge Mann, dass die Kriegsvorbereitungen der Kaarborger, mit Einbruch des Winters, vollständig abgeschlossen worden waren, und sie nun das Frühjahr und den voraussichtlichen Beginn der Kampfhandlungen gelassen erwarten konnten. Den Berichten, die bis zum Einbruch der Vereisung des Kaarsees regelmäßig mit jeder Nachschublieferungen aus den Grenzburgen nach Kaar gelangten, konnte man entnehmen, dass die Überfälle und Sabotageakte an der Grenze zu Harkon und Ahrborg langsam aber stetig zunahmen, aber von den nun dort stationierten Rittern in der Regel wirkungsvoll bekämpft und somit der Schaden in Grenzen gehalten werden konnte. Auf diplomatischer Ebene nahmen derweil die Beschimpfungen und Drohungen durch die Harkonen und Ahrborger kontinuierlich zu. Es wurden Grenzverletzungen beklagt, Händler aus Kaarborg als Spione verhaftet und eingekerkert. Kurzum, es lief das klassische Vorspiel einer militärischen Auseinandersetzung ab.
Das Amafest näherte sich nun mit großen Schritten, als etwas geschah, das Ragnors momentan recht heile Welt vollkommen durcheinander wirbelte. Eigentlich war die Vorbereitung zum Amafest ein recht entspannte Angelegenheit gewesen, und besonders die kleine Mirana hatte sich sehr über das prächtige Festkleid gefreut, das Ansgar da Lorcamon, ihr edler 'Ritter', wie sie immer sagte, geschenkt hatte. Maramba hatte tatkräftig dabei mitgeholfen, indem er Ansgar, in voller Rüstung vor seiner kleinen Königin kniend, auf Miranas Festtagsgewand gemalt hatte.Alle waren bei der Anprobe ausgelassen und fröhlich gewesen, doch dann passierte das Schreckliche vier Tage vor dem Amafest.
Ragnor war gerade von seinem Ausritt am frühen Morgen zurückgekehrt und hatte seinen Chorosanihengst Quesan an Klaus zur Versorgung übergeben, als Ole, der Page von Ansgar da Lorcamon, atemlos und völlig aufgelöst in den Stall gestürzt kam, und schon Weitem rief: "Bitte edler Ragnor, kommt sofort! Eure kleine Schwester ist von der Hofaußentreppe am Verwaltungspalais heruntergestürzt und liegt regungslos im Hof. Sie hat sich bei ihrem Sturz offenbar schwer verletzt, bitte kommt schnell mit!"
Außer sich vor Sorge rannte Ragnor aus dem Stall und quer über den noch stillen Burghof in die Gasse, und da sah er sie, klein und völlig verkrümmt liegen. Er lief zu ihr hin, kniete nieder, hob vorsichtig ihren Kopf, der ganz voll Blut war und bettete ihn auf seinen Schoß. Die Augen der Kleinen waren geschlossen, doch sie atmete 'Ama sei Dank'! Der linke Arm und das linke Bein schienen gebrochen zu sein, denn sie standen in einem merkwürdigen Winkel vom Körper ab. Als er versuchte, sie aus ihrer Bewusstlosigkeit zu wecken, schlug dies fehl. Das kleine Mädchen reagierte überhaupt nicht auf seine sanften Versuche. Mit Tränen in den Augen sah er zu Klaus auf, der erschüttert neben ihm stand, und wies ihn an, sofort Maramba herzuschicken und dann unverzüglich einen Feldscher zu suchen und in Miranas Wohnung zu bringen.
Als der Feldscher, ein linkischer, freundlicher Mann, eine halbe Stunde später endlich erschien, hatten Maramba und Ragnor die Kleine bereits vorsichtig in die Wohnung hochgetragen, die blutige Kleidung ausgezogen und das viele Blut vorsichtig abgewaschen, soweit das möglich war. Der Feldscher machte sich unverzüglich an die Arbeit, reinigte die Wunden mit Alkohol, schiente die Brüche und legte Mirana einen dicken Kopfverband an, nachdem er ihren Schädel vorsichtig abgetastet hatte. Ragnor und Maramba gingen ihm dabei zur Hand, so gut sie konnten. Während der Feldscher arbeitete, sprach er kein Wort. Als er schließlich fertig war und sich zu einem Becher Kallatee, den Maramba ihm hingestellt hatte, zu ihnen setzte, sagte er, mit ernstem Gesicht: "Ich will Euch nichts vormachen. Es steht nicht gut um die Kleine. Die
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