Der Weg Nach Tanelorn
Schicksalen war er nahe daran, sein eigenes zu einem Ende zu bringen, sich selbst zu vernichten.
Und seine Träume wandelten sich. Weil sie sich veränderten, schlief er noch seltener als zuvor. In seinen Träumen hatte er viele Namen. Einer davon war John Daker, aber viel öfter wurden ihm die anderen bewusst – Erekose und Urlik. Nur der vierte Name entglitt ihm, obgleich er wusste, dass er existierte. Wenn er erwachte, konnte er sich nie an diesen vierten Namen erinnern. Er begann sich zu fragen, ob es so etwas wie Reinkarnation gab. Entsann er sich vielleicht seiner früheren Leben? Das war jedenfalls seine instinktive Schlussfolgerung. Aber sein gesunder Menschenverstand ließ diese Erklärung nicht zu.
In seinen Träumen begegnete er auch manchmal Yisselda. Und in diesen Träumen war er immer beunruhigt, spürte er die schwere Last der Verantwortung auf sich drücken – und ein Schuldbewusstsein. Er hatte jedes Mal das Gefühl, es sei seine Pflicht, irgendetwas ganz Bestimmtes zu tun, aber nie. wurde ihm klar, was das sein mochte. Hatte er andere Leben hinter sich, die genauso tragisch gewesen waren wie dieses? Der Gedanke an eine Ewigkeit der Tragödie war zuviel für ihn. Er verscheuchte ihn, ehe er sich ganz formen konnte.
Und doch schienen ihm diese Vorstellungen irgendwie halbvertraut. Wo hatte er von ihnen gehört? War er ihnen begegnet? In anderen, früheren Träumen? Im Gespräch mit jemandem? Mit Bowgentle, vielleicht? In Dnark, der fernen Stadt des Runenstabs?
Er begann sich bedroht zu fühlen. Er lernte Furcht kennen. Selbst die Zinnfiguren auf seinen Tischen waren halbvergessen. Er sah aus den Augenwinkeln bereits sich bewegende Schatten. Was beschwor diese Angst herauf?
Er dachte, er sei vielleicht nahe daran, die Wahrheit über Yisselda zu verstehen, und irgendwelche Kräfte sollten es verhindern, Kräfte, die ihn möglicherweise töten würden, wenn er herausfand, wie er seine Liebste erreichen konnte.
Das einzige, was Falkenmond nicht in Betracht zog – die einzige Antwort, die ihm gar nicht in den Sinn kam –, war, dass diese Furcht im Grund genommen eine Angst vor sich selber war, die Angst, sich einer unerfreulichen Wahrheit zu stellen. Die Lüge war es, die bedroht wurde, die Lüge, die seinen Verstand schützte; und wie die meisten Menschen es tun, kämpfte er, um diese Lüge zu verteidigen.
Zu dieser Zeit war es auch; dass er seine Diener verdächtigte, sich mit seinen Feinden im Bund zu befinden. Er war überzeugt, sie hätten versucht, ihn zu vergiften. Er begann, seine Türen zu versperren und weigerte sich, sie zu öffnen, wenn die Diener Einlass erbaten, um zumindest die notwendigsten Handgriffe zu tun. Er aß gerade so viel, dass er nicht direkt verhungerte. Er sammelte Regenwasser in Bechern, die er auf seine äußeren Fenstersimse stellte, und nur dieses Wasser trank er. Doch immer öfter überwältigte die Erschöpfung seinen geschwächten Körper. Dann kamen die kleinen Träume zu dem Mann, der in der Dunkelheit hauste. Träume, die an sich nicht unangenehm waren – er sah freundliche Landschaften, fremde Städte, Schlachten, an denen er, Falkenmond, nie teilgenommen hatte, merkwürdige, fremdartige Leute, denen er selbst in seinen Abenteuern im Dienst des Runenstabs nie begegnet war. Aber diese Träume erschreckten ihn. Auch Frauen kamen in diesen Träumen vor. Einige von ihnen mochten Yisselda gewesen sein, doch empfand er nie Freude, wenn er sie sah, nur eine tiefe Unruhe. Und einmal, ganz flüchtig, träumte er, er blicke in einen Spiegel und sähe statt seines eigenen Spiegelbilds eine Frau.
Eines Morgens erwachte er aus seinem quälenden Schlummer, doch statt sich zu erheben, wie es seine Gewohnheit war, und sich direkt zu seinen Tischen mit den Modellen zu begeben, blieb er liegen und starrte zu den Sparren in seinem Zimmer hoch. In dem schwachen Licht, dem es gelang, durch die dicken Vorhänge zu dringen, sah er ganz deutlich Kopf und Schultern eines Mannes, der dem toten Oladahn glich. Die Ähnlichkeit lag hauptsächlich in der Art, wie er seinen Kopf hielt, in seinem Gesichtsausdruck und den Augen. Ein breitkrempiger Hut saß keck auf dem langen schwarzen Haar, und eine kleine schwarz-weiße Katze hockte auf seiner Schulter. Falkenmond bemerkte, ohne sich darüber zu wundern, dass die Katze Flügel hatte, die auf dem Rücken gefaltet waren.
»Oladahn?« murmelte Falkenmond, obgleich er wusste, dass es nicht sein alter Gefährte war.
Das Gesicht lächelte
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