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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Ohrläppchen an die Decke
genagelt, »ruhig weiter, was Sie sehen wollen, wir holen Sie ab, wenn es Zeit
ist.«
    Ein bißchen schwitzte ich vor
dem ersten Schritt ins Gästezimmer. Alle waren schon drin, Janet zählte die
illustren Gäste auf, ich klebte mit dem Rücken am Verputz der Vorzimmerwand,
bei Southey zögerte ich noch, De Quincey deutete ich als Startsignal, wuchtete
mein Fett durch den Türrahmen, riß die Augen auf —
    nichts, natürlich. Keine
Entsprechung. Nicht ein einziges Detail aus den Träumen, vom trapezförmigen
Grundriß ganz zu schweigen.
    »Und nicht zuletzt«, sagte
Janet, »war Sir Walter Scott, Dichter des Ivanhoe, ein besonders gern
gesehener Gast — und er selbst fühlte sich in ganz England nirgends so wohl wie
hier.«
    »Er selbst«, sagte ich, den
Tonfall der Führerin parodierend, »sah das wohl ein wenig anders.«
    Tatsächlich war ich mir nicht
zu blöd, den Überraschungseffekt auszunützen und der irritierten
Wordsworth-Gemeinde die Geschichte von Scotts Besuchen unter die Nase zu
reiben. »Ihr Wordsworth«, dozierte ich, »zweifellos der Begabteste unter den
mittelmäßigen Zeitgenossen von Samuel Taylor Coleridge, lebte nach dem Prinzip plain
living but high thinking 5 , was sich sowohl in netten, einfachen Gedichten als auch in der Kargheit jenes
Mahls niederschlug, das für Briten der einzige Lichtblick auf ihrem Teller ist:
dem Frühstück.« Eine gut gesetzte Pause, schon hatte ich ihre Aufmerksamkeit
gewonnen. »Sir Walter hingegen liebte das Üppige.« Und so weiter, in diesem
Tonfall — Martin und Daniel hätten mich ausgelacht, aber Anna, ich war mir
sicher, hätte es gefallen. So gab ich also die Geschichte von Scott zum besten,
der so genervt war von dem Arrangement aus getrockneten Birnen, Brot und Milch
auf dem Gästetisch, daß er sich danach jedesmal ins Arbeitszimmer zurückzog,
unter dem Vorwand, die unaufschiebbare Korrektur eines Manuskripts oder die
Niederschrift eines unverhofften, der belebenden Wirkung der Birnensäure zu
verdankenden Einfalls warte auf ihn.
    Aus dem Fenster unbemerkt zu
entkommen war ein leichtes, und der »Swan«, ein legendäres Pub, das heute noch
seine Gäste mit allerlei Fettem verwöhnt, war nicht weit. Sir Walter verschlang
dort Morgen für Morgen Speck, Eier, Würste, Bohnen, Pilze auf großen, mehrfach
nachbeladenen Tellern, was ihm beim Mittagsmahl — getrocknete Birnen, Milch und
Brot — eine gewisse Gelassenheit gab. Abends wurde bei Wordsworths das
Hauptmenü — Käse, Brot und ein wenig Wein — serviert; genug für Scott, um einen
Vortrag über die Werte der Schlichtheit durchzuhalten, bis er an die Vorräte in
der Reisetasche kam. So rettete sich der Schöpfer des Schwarzen Ritters über
die Tage, bis eines Nachmittags beim gemeinsamen Spaziergang am See der Wirt
des » Swan« die Wege der großen Männer kreuzte und Scott fragte, wie er morgen
seine Eier haben wollte. »Boiled, fried or scrambled?«
    Scott blieb nach seiner
höflichen Verabschiedung aus dem Dove Cottage noch eine Woche im Gästezimmer
des »Swan«. Zog mich nach diesem Vortrag diskret zurück, ohne Janets Antwort
abzuwarten.
    Oberhalb des Shops gab es noch
ein Museum, das man glücklicherweise ohne Führung betreten durfte.
    Das überlebensgroße Porträt von
William nahm mich in Empfang; seine Augen schickten kleine, in Curare getränkte
Pfeile zu mir herunter. »Sei keine Mimose«, knurrte ich hinauf, lauter als
beabsichtigt, aber es schien die anderen Besucher nicht zu irritieren.
Offensichtlich pflegte man hier die Konversation mit dem Meister.
    War nicht schlecht
ausgestattet, die heilige Halle. Radierungen, Kohlezeichnungen, Ölgemälde der
Familie, dazu Handschriften von William, Originalblätter aus Dorothys Journalen
und Briefe von De Quincey.
    Versteckt in einer Nische
entdeckte ich doch noch Spuren von Coleridge: Unter einer Nachbildung seiner
Totenmaske lag ein Faksimile des Erstdrucks von »The Nightingale« in einer
Vitrine. Ein Kommentar daneben verwies auf den Brief an Wordsworth vom io. Mai
1798, dem Coleridge nicht nur die Abschrift des Gedichtes, sondern auch einen
leichtfüßigen Begleittext beigelegt hatte, triefend vor Ironie, mit dem
begnadeten Schüttelreim
     
    And like a honest bard, dear
Wordsworth,
    You’ll tell me what you think,
my Bird’s worth.
     
    Und wie ein ehrenhafter Sänger,
lieber Wordsworth,
    Wirst du mir sagen, was du
denkst, daß mein Vogel wert ist.
     
    Das Ende dieser Zeilen hatte
der Begleittext

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