Der Weg nach Xanadu
Geldzuwendung erhält, verläßt er augenblicklich Greta Hall und
sucht die Azoren in Middleham, wo Sara und ihr zweiter Bruder George den Sommer
verbringen. Asra lädt Coleridge ein, mit ihr sechzig Meilen weiter nordwärts
nach Gallow Hill zu reiten, wo ein anderer Teil der Familie (Tom und Mary) sich
aufhält. Sein linkes Knie ist wieder stark geschwollen, als er in der
Abenddämmerung des 31. Juli vom Pferd steigt.
»Nichts da«, sagte Mary nach
dem Begrüßungskuß, »hier wird nicht heldenhaft in der Küche herumgehumpelt. Du
bist krank, mein Lieber, das sieht man doch. Du legst dich jetzt schön aufs
Sofa, bis die Forellen fertig sind, sonst essen wir nachher ohne dich.«
»Ich würde diese Drohung ernst
nehmen« — Tom Hutchinson schüttelte ihm die Hand, »und außerdem darf man bei
uns auch im Liegen reden, und« — mit einer verschwörerischen Bewegung der
Augenbraue — »trinken natürlich auch.«
Kopf hoch, sagte Mary, und
schon hatte er einen Polster im Genick, Bein hoch, sagte Asra als Echo, der
nächste Polster landete zwischen seiner linken Ferse und dem Sofarand, und
Coleridge ließ als Protest gegen die selbsternannten Krankenschwestern seinen
Körper mit einer unerwartet behenden Linksdrehung auf den Bretterboden krachen,
mit schmerzverzerrter Miene lag er da, bis er das Erschrecken in den Gesichtern
der Schwestern genügend ausgekostet hatte und in prustendes Gelächter ausbrach.
Kleine Sünden bestraften die Schwestern sofort, und er hatte es plötzlich
verdammt schwer, zwischen den scherzhaft ihm aufs Gesicht gedrückten Polstern
noch einen Luftkanal zu finden. Husten, Handgemenge und zärtliche
Verwünschungen.
Das Lachen wollte die ganze
Nacht nicht aufhören. Tom hatte nach dem nächsten Frühstück abzureisen.
Die Fakten: Ab 31. Juli 1801
erlebt Coleridge zehn Tage mit Sara und Mary Hutchinson, die ihn seinem
erträumten pleasure dome so nahe kommen lassen wie noch nie.
Bilder dieses Zusammenseins
geistern noch Jahre später durch die Notizbücher, tagträumerische
Erinnerungsgespenster, die zwischen Selbstbezichtigungen und Opiumphantasien
herumspuken: Asra neben ihm auf dem Sofa, an ihn geschmiegt, während die
heruntergebrannte Kerze in ihren letzten Zuckungen abwechselnd Licht und
Schatten verbreitet; Asra vor dem Kamin, ihr Kopf auf die Hände gestützt, die
Füße auf dem Kaminsims, der Widerschein des Feuers auf ihrem Gesicht; das
letzte gemeinsame Essen in Gallow Hill, gebratene Hühner in köstlicher weißer
Sauce — Reminiszenzen voll verzweifelten Begehrens, »Anfälle einer Lust, die
immer auch zur Hälfte Qual ist, da Du nicht bei mir bist«, wie er noch im März
1810 schreibt.
Als Coleridge im August 1801
Gallow Hill verläßt, befällt ihn Verwirrung. Was er erlebt hat, »die Ahnung des
Paradieses«, ist in Gefühlsschichten eingedrungen, zu denen das Vergessen
keinen Zugang mehr hat. Zu Hause erwarten ihn eine auf Eis gelegte Beziehung
und die von ihm vergötterten Kinder. Er verschiebt die Heimreise, fährt nach
Dinsdale und taucht seinen Körper in Schwefelbäder, mehrmals täglich, eine
Woche lang. Die Wirkung bleibt aus. Asra ist nicht mehr zu tilgen. In den Nächten
ringt er mit einer Entscheidung. Aber kaum in Greta Hall angekommen, zieht er
sich zurück, schreibt lange selbstmitleidige Briefe an Freunde und erhöht die
Opiumdosis.
Im Januar 1802 erfährt er, daß
Wordsworth Mary Hutchinson heiraten wird. Seine Gefühle sind widersprüchlich:
Freude, Neid — und Panik, aus dem magischen Zirkel hinausgedrängt zu werden.
Die Sehnsucht nach Marys Schwester wird unbezähmbar. Er bombardiert Asra mit
Liebesbriefen, bis sie reagiert: sie wird krank, sie rettet sich ins Fieber. Als
er davon erfährt, bricht er sofort auf.
Über diesen entscheidenden
Aufenthalt in Gallow Hill, vom 2. bis zum 13. März 1802, weiß man wenig.
Coleridge kümmert sich, gemeinsam mit Mary und Tom Hutchinson, um Asras Pflege.
Wenn sie je wirklich seine Geliebte geworden ist, dann während dieser Tage.
Doch die Notizbücher erzählen nur, daß er beim Abschied laut geweint hat (»I
wept aloud... when I left... in a violent storm of snow & wind.«).
Klar ist jedoch, daß er sich
schließlich zu einem Verzicht durchrang. Eine Entscheidung »gegen Ehebruch«
möglicherweise; vielleicht auch ein Rückzug aufgrund der Annahme, daß Asra
seine Leidenschaft nicht ganz erwiderte; jedenfalls ein Entschluß, der
Coleridge bis ans Ende seines Lebens mit hartnäckigen Selbstzweifeln
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