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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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quälte.
Kubla Khan hatte ihm das Tor zu seinem Palast geöffnet, Coleridge schlug es in
Panik zu. Der Rest seines Lebens war vergebliches Klopfen, knockin on
heaven’s door. Der Fürst war für immer verreist.
    Er fährt nach Keswick, hält es
zu Hause aber nur vier Tage aus und wandert nach Grasmere zu den Wordsworths.
Dorothy erschrickt, als sie ihn sieht: hochroter Kopf, geschwollene Augen,
»halb verblödet«.
    Im April ist er wieder auf
Greta Hall (Eintragung: »Niemand kann über seinen Schatten springen; Dichter
springen über den Tod.«)
     
    Coleridge sieht Asra bis zum
Januar 1803 nicht wieder; er schreibt ihr aber weiter Briefe
(freundschaftliche, abgeklärte; Beschreibungen seines Alltags, Berichte über
das Gedeihen der Kinder etc.) und schickt ihr Gedichte (aber niemals seine
eigenen). Es scheint, als hätte er seinen Verzicht auch innerlich vollzogen.
Auch beim Treffen im Januar 1803 gibt es keine leidenschaftlichen Gefühle: man
reitet zusammen aus, redet über die Vorzüge reiner Freundschaft. Selbst die
Aussicht, sie könnte Wordsworth’ Bruder John heiraten (was sie dann doch nicht
tut), erschüttert seine Fassade nicht.
    Erst ab August 1803, als die
Opiumsucht möglicherweise die Automatik des absichtlichen Vergessens ein wenig
stört, werden die Eintragungen im Notizbuch wieder vehementer: »O Asra, wo
immer ich bin — wenn ich von etwas beeindruckt bin, verzehrt sich mein Herz
nach Dir, & ich weiß vieles über das Herz eines Mannes, das ich sonst
nicht wüßte! — O Asra Asra why am I not happy?«
    Im Februar 1804 schreibt ihm
Miss Hutchinson eine Art Abschiedsbrief, eine nicht erhalten gebliebene Absage
an die Ambivalenz seiner Avancen, die er nicht erträgt. Er verläßt Frau und
Kinder, aber nicht für Asra. Er findet endlich trockene Wärme, aber nicht auf
den Azoren. Ohne Sara und ohne Asra hat Coleridge nur mehr eine Königin:
Laudanum, the Dark Ladie. Die Reise nach Malta führt ihn heraus aus
allem, was ihn noch hätte retten können.

Sechs Mit wehendem Wanderermantel flanierte ich durch ein Feld meterhoher Narzissen,
deren Kelche sich bewegten und jeden meiner Schritte verfolgten, argwöhnische
Klosterschwestern mit Blütenhauben. An ihrer Unterseite klebten kleine
Schilder, deren Aufschrift ich nicht entziffern konnte, sie waren zu weit oben.
Meine Sicht war beschränkt, ich versuchte, zwischen den gewaltigen Stengeln
hindurchzuspähen, aber ich sah nur wieder neue Narzissen. Das Rauschen, das
immer näher kam, und den rhythmischen Donner konnte ich daher nicht zuordnen.
So kletterte ich auf eine der Blumen, sie wehrte sich und warf ihren
Schwesternkopf gegen meine Stirn, aber ich war stärker und schaffte es, mich an
ihren Blättern so weit nach oben zu hanteln, bis ich über sie hinausblicken
konnte. Vom Horizont her stampfte eine Riesengestalt auf das Narzissenfeld zu,
jeder Schritt schüttelte die armen Nonnen gehörig durch. Das Gesicht des Riesen
war ohne Zweifel identisch mit jenem Porträt, das Pieter Van Dyke 1775 von
Samuel Taylor Coleridge angefertigt hatte. Eine gewaltige Sense sauste durch
die Lüfte, und bevor sie die ersten Ausläufer des Narzissenfeldes erreichte, um
sie gnadenlos niederzumähen, flüchtete ich von meinem Aussichtspunkt nach
unten, allerdings nicht ohne mir die Gelegenheit entgehen zu lassen, das Schild
zu inspizieren. »Daffodils«, stand da, in kindlicher Handschrift, »made by
William Wordsworth«.
     
    Das Traumzimmer hatte mich, zum
ersten Mal seit vielen Wochen, nicht mit seinen Verlockungen belästigt.
     
    Beim Frühstück — man verwöhnte
mich mit Cornflakes, über Nacht in lauwarmer Milch eingeweicht;
Spiegeleifossilien, eigenhändig aus dem Fels gesprengt, an herabgefallenen
Höhlensplittern; und kalten schwarzen Dreiecken aus Eternit, gereicht zu
orangefarbenen Plastiksärgen, briefmarkengroß und fest verschweißt, von
Generation zu Generation über Jahrhunderte hinweg ungeöffnet weitergegeben —
sagte ich mir jedenfalls, wehender Wanderermantel, was immer das sein mag, es
muß was bedeuten.
    Mach was draus, hätte mein Elf
gesagt.

Sieben Nun stand ich also tatsächlich auf dem Gipfel von Skiddaw. Der Schweiß rann mir
vorne von der Stirn in den Mund, hinten vom Nacken bis ins Kreuz, aber ich war
oben. Der Schmerz in Waden und Oberschenkeln ließ nach und wich einem
Triumphgefühl, das ich bisher nur von Erzählungen eines dem Bergsteigerwahn
verfallenen Freundes kannte und das mir immer verdächtig gewesen war, da er
dieses,

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