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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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wie er es nannte, Basisgefühl mit einer mir puritanisch erscheinenden
Selbstüberwindungs-Ideologie überbaut hatte.
    Und nun fühlte ich selbst etwas
Ähnliches. Ich hatte meine Kilos hier heraufgeschleppt, meine Beschwerden
hintangestellt für das absurde Ziel, oben anzukommen. Daß mir meine Basisgefühle nun vorgaukelten, etwas erreicht zu haben, befremdete zwar meine
höhergelegenen Körperregionen — aber es war, wie es war.
    Statt eines Kreuzes markiert
auf dem Skiddaw eine Art abgeschnittene Steinpyramide den Gipfel, und es schien
mir eines Kletterers meines Schlages keineswegs unwürdig zu sein, sich darauf
niederzulassen, um tausend Meter hoch über allen Landladys eine Benson zu
rauchen, aber es gelang mir nicht. Selbst der Versuch, im Windschatten der
Pyramide unter meiner Regenjacke das Feuerzeug zur Flammenspende zu bewegen,
scheiterte kläglich.
    Es blies überall durch, und als
mir bei dem Versuch, unter dem T-Shirt die Flamme für die erforderliche Dauer
am Leben zu erhalten, die Benson aus dem Mund fiel und in einer Bauchfalte
liegenblieb, gab ich auf.
    Immerhin besaß ich ja noch die
Schokolade, Cadbury’s Fruit and Nut. Rippe für Rippe gab ich meinem Körper
einen Teil von dem zurück, was ich ihm gerade geraubt hatte.
     
    Da zog der Wind,
Kulissenschieber am Lümmel über den Lakes, die Wolken weg, Spot an, und die
Landschaft unter mir begann sich unter der Regie der Sonne zu beleben, ein
erster Take, aber mit allen Stars. Derwent Water, Bassenthwaite, Ullswater,
metallisch glitzernd, scharf gerändert, von nachlässigen Requisiteuren in die
Kulisse geworfene Dosendeckel; tief unter mir die kamelbuckelartige Wölbung der
Cat Beils, deren Höcker durch die hellen Bänder der Wanderwege seit zweihundert
Jahren miteinander verschnürt waren; Helvellyn, Samuels heidnisch-heiliger Berg
und später Wordsworth’ Poete-Laureate-Monument; in Bergrücken gerissene Täler
in allen denkbaren Schattierungen jener Farbe, für die wir, da wir keine
Eskimos der Hänge und Wiesen sind, einheitlich das Wort grün verwenden. Im
Becken zwischen Latrigg und Blencathra eine von Steinwällen umgrenzte Fläche,
die eine halbe Minute lang von einem besonderen Scheinwerfer angestrahlt wird,
es triumphieren die Special Effects, und man könnte schwören, inmitten all
dieser ansteigenden oder abfallenden Wiesen leuchte ein Weiher auf, auf halber
Höhe zwischen den graumetallischen Seen und den bis zum höchsten Stein von
schwarzviolettem Heidekraut überwucherten Gipfeln, und obwohl man weiß, es ist
nur eine Wiese unter Wiesen, erliegt man beinahe der Versuchung, sich
Hals-über-Kopf hinunterzustürzen in diese übernatürlich türkise Tiefe —
    Mir fiel die letzte Rippe
Cadbury’s aus der Hand, ich mußte aufstehen, schauen, mich drehen; und so
drehte ich mich um meine eigene Achse, um mich zu vergessen und die Bilder
dieser Landschaft in mich hineinströmen zu lassen. Wenn das Licht kommt,
beginnt alles zu leben. Ein Bergrücken liegt, sagt Coleridge, wolkenverhangen und
leblos vor uns. Plötzlich trifft ihn ein Lichtstrahl, und er beginnt in der
Luft zu schwimmen, ein weißer Delphin.
    Diese Luft sollte meinen Lungen
ab sofort die einzige Nahrung sein! Meine halbvolle Packung Benson schleuderte
ich mit großer Geste talwärts, in geheuchelter Entschlossenheit. Eine volle
hatte ich noch im Rucksack.
    Eisvögel fielen mir ein, die
hier treffender Kingfisher heißen. In jeder noch so kleinen Pfütze
finden sie ihre Fische, aber manchmal brechen sie sich das Genick, denn nicht
alles, was in der Sonne glitzert, ist ein See oder ein Fluß. Manchmal liegt
einer tot auf dem Dach, erzählte mir der Besitzer eines für Orchideen
eingerichteten Glashauses in Borrowdale, no chance to keep them away.
    Und dann spürte ich den Wunsch,
daß die Schönheit wieder verschwinden möge hinter dem Schatten einer
dramaturgisch notwendigen, frisch aufgezogenen Wolke.
    Ich wurde unruhig. Zuerst
suchte ich Cadburys letzte Rippe im Geröll unter der Pyramide, dann starrte ich
wieder hinab. Das Glamouröse, geradezu Prahlerische dieser Landschaft begann
mich zu bedrücken, obwohl ich doch allein ihretwegen auf diesen Berg — wenn du
ihn Hügel nennen willst, o Frevler, dann nenn ihn Hügel — im Schweiße nicht nur
meines Angesichts geklettert war. Ich fürchtete, zu verschwinden, da ich ihr
nichts entgegnen konnte.
    Ganz ungefährlich ist sie ja
nicht, die Schönheit dieser Lichtspiele. Da mein Spiegel, schreibt Coleridge an
Poole,

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