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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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und — saß einfach ein paar
Minuten nur da. Müdigkeit aufgrund sportlicher Tätigkeit, so ein Gefühl hatte
ich schließlich nicht alle Tage. Lang hatte ich allerdings nicht die
Gelegenheit, es auszukosten, denn schon stand ein strenger Herr in Livree vor
mir, reichte die Karte und fragte gleichzeitig nach meinen Wünschen.
    »Ich möchte doch vorher«, sagte
ich, »einen kurzen Blick...«
    »In Ordnung« sagte er, »aber
machen Sie schnell. Ihr Tisch wird noch gebraucht.«
    »Ich werde zweifellos«, sagte
ich, »versuchen, mein Bestes zu geben« und bestellte ein Pint John Smith.
Hatten sie nicht. Nach all den Jahren meiner nebenberuflichen Tätigkeit war ich
immer wieder überrascht, welche fatalen Folgen eine Fehleinschätzung des ersten
Blicks nach sich ziehen konnte. Am Ende landete ein Chicken Tandoori auf
einer fliegenden Untertasse vor mir auf dem Tisch. Das, was in besseren Zeiten
das Bein eines Huhnes gewesen sein mußte, sah aus wie ein Eierbrikett. Hob man
die verbrannten Schichten behutsam ab, kam darunter ein rosiger, embryonal
geformter Fleischrest zum Vorschein, der, gespickt mit einem Zahnstocher und
dargereicht auf einem Silbertablett, bei einem Empfang für radikale
Klonforscher seine Wirkung sicher nicht verfehlt hätte. Ich steckte eine
Pfundnote unter die Untertasse und floh. Zurück im Zentrum, stellte ich mich
bei einem Fish-and-Chips-Dealer mit dem Erfahrung versprechenden Namen »Old
Keswickian« hinter die zahlreichen Regenjacken in die Warteschlange. Als ich
endlich dran war, bestellte ich eine doppelte Portion Kabeljau und Chips, ließ
mir alles in Packpapier wickeln und wanderte, während die Wärme meine Hand
hochkroch, eine Straße weiter zum Schutzpatron aller durch Alkohol gefallenen
Engel, der in Cumberland Thresher hieß. Ein Fourpack John Smith sollte
den Fischleichen in meinem Magen die angemessene Grabbeigabe sein.
    Als passenden Ort für mein
Picknick hatte ich mir die Holzbank am Friar’s Crag ausgesucht; ein würdiger
Sitz für einen müden Wanderer nach einem Gipfelsieg.
    Vor der kleinen Landzunge
erstreckte sich der See, den ich heute schon aus so gewaltiger Höhe gesehen
hatte, jetzt im Abendlicht funkelnd wie ein hingeschütteter Seeräuberschatz,
bewacht von Recken mit glamourösen Namen wie Hindscarth, High Stile, Great End
oder Glaramara — den kleineren Brüdern von Sir Skiddaw, Lord of Derwent Water.
    Das Bier drang bis in die
letzten Ritzen meines Körpers, und die vielgeschmähte britische Nationalspeise
begleitete tadellos. Zugegeben, Lady Albion ist nicht gerade die Mutter aller
Gaumenfreuden, doch wer die Nase rümpft ob des unvergleichlichen Genusses, den
das Zusammentreffen von goldgelben Kartoffelchips mit Essig den Papillen zu
bereiten vermag, dem fehlt einfach jeder Sinn für die geschmackliche Wucht des
Divergenten. Blasse Feinspitze, rief ich den Verächtern zu, während Glaramara
gerade einen Lichtguß durch ein Wolkenloch abbekam und stolz seine grünen
FFaare leuchten ließ, wer das Krude nicht zu ehren weiß, rief ich, geht am
Verfeinerten schwächlich zugrunde, jawoll.
    Ich hatte die Wirkung von vier
rasch vernichteten Bitters kraß unterschätzt. War nicht leicht, von der Bank
wieder hochzukommen. Ach, Exzesse, Exzesse, dabei hatte ich doch meinen sonst
so seßhaften Unterboden aus seriösen Gründen hierherbewegt, der Boden
schwankte, nicht ich, während ich die Lake Road hinaufkeuchte, Spaziergänger
warfen mir Blicke zu, einer murmelte »bloody old beerheads in the fucking
lakes«. O Derwent, sagte ich laut, teurer Derwent, der du dem Sohn von STC
deinen Namen gabst, die Leute hier, sie verkennen uns beide.
    Legte mir in meinem Kämmerchen
die Bettdecke übers Gesicht und schlief tief und dunkel. Nicht einmal das
Rücklicht eines Traums blitzte im Nebel auf, durch den ich mein Nachtgefährt
steuerte.
    Immer nach Hause, versteht sich.

Zehn Am späten Vormittag warf ich einen verstohlenen Blick in den Frühstücksraum.
Drei mit Flanellhemden bekleidete Schotten (den Dialekt erkannte ich schon nach
wenigen Silben, ein wunderbarer Fluß unmöglich zu imitierender Laute, selbst
nach jahrelanger Übung) schoben sich mit der Schmerzverachtung überzeugter
Nietzscheaner die gelbschwarzen Fossilien zwischen die Zähne — und ich
beschloß, zu verzichten.
    Draußen goß es in Strömen.
    Der Regen im Lake District
besitzt erstaunliche Fähigkeiten; wie ein durch Generationen hindurch gegen die
Gifte der Kammerjäger resistent gewordener

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