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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Kakerlakenstamm verhöhnt er die
Abwehrbestrebungen seiner wehrlosen Widersacher und überwindet jedes Hindernis,
das gegen ihn aufgeboten wird. Selbst in teuersten Regenjacken, die man eher
umschnallt als anzieht, findet er Schlupflöcher; tief ins Gesicht gezogene
Kapuzen umschmeichelt er mit verführerischem Glissando, ehe er ihre Innenseite
erobert und von dort ihrem Träger in den Hals tropft. Wasserfeste Schuhe mögen
überall sonst auf der Welt als wasserfeste Schuhe durchgehen, im Lake District
verwandelt sie der Regen binnen Minuten in Einweg-Espandrillos.
    Ließ mich also die Southey Road
hinuntertreiben, am Busbahnhof vorbei, strandete schließlich an der
Buchhandlung am unteren Ende der Stanger Street. In der Auslage: Reiseführer,
William Wordsworth, Reiseführer, Dorothy Wordsworth, Reiseführer. Fast war man
versucht, an die Macht der Geister zu glauben, wenn man sah, wie es der stolzen
Familie posthum gelungen war, ihre Claims abzustecken. Und keine halbe Meile
von dieser Buchhandlung entfernt mußte Greta Hall sein Ausgedinge finden,
unerkannt im Faschingskostüm des Mädchenpensionats.
    Hievte meinen von der Nässe
nicht leichter gewordenen Körper den Hügel hoch, vorbei an Blumen, die ihre in
Demut gebeugten Blütenblätter der Regenpeitsche entgegenreckten; mir wiederum
rann das Wasser vom Nacken den Rücken hinunter bis hinein in die berüchtigte
Falte, in die der Regen, sobald er sie erreicht hat, triumphierend sein Banner
pflanzt. Mein Versuch, der aus dem Himmel stürzenden Invasorenbande zumindest
symbolisch zu trotzen, scheiterte aufgrund seiner strategischen Kläglichkeit
verdient. Patsch! durchschlug die Tropfenarmada die Außenwand meiner
Regenjacke, hinter die ich mich, nur mit meinem Feuerzeug bewaffnet, verschanzt
hatte, und die einst stolze Benson krümmte sich feige, eine aufgeweichte
englische Schaluppe.
    »Suchen Sie etwas«, der Akzent
war schon wieder schottisch, und einen Moment lang glaubte ich, nach dem
Frühstück bei meiner Landlady ins Alpträumen geraten zu sein und das Haus gar
nicht verlassen zu haben. Doch das Wasser hatte mich in einen fremden Garten
gespült, und als ich endlich hochblickte, stand vor mir ein erwachsener Mann,
der eine Kinderschaufel in der einen Hand und einen Sandkastenkübel in der
anderen hielt. Seine Regenjacke trug er offen, ein Braveheart der
Witterungskriege. Hinter ihm, in einer von Strudeln durchwirbelten
Schlammkiste, spielten Zwerge mit roten Kapuzen eine Art
»Wer-hat-Angst-vorm-Erstickungstod«.
    Immer wieder taucht einer von
ihnen nach unten — Köpfchenunter-Wasser, Stiefel-in-die-Höh — , kehrt mit
leeren Händen zur Oberfläche zurück, schon folgen ihm die nächsten, wieder ohne
Erfolg, dann holt plötzlich einer ein Plastikteil aus den Tiefen herauf, was
ist das nur? ein Zeichen? — nein, jetzt sehen es alle, es ist eine Kuchenform
zum Sandburgenbauen, und der erfolgreiche Taucher hält es hoch gegen die
Wolken, und genau jetzt, in diesem blitzdurchzuckten Moment, hat der Himmel ein
Einsehn, der besiegte Regen unterwirft sich zögernd seinem armseligen Bruder,
dem Nieseln —
    »Läßt«, sagte der Schotte,
»langsam nach. Der Scheißregen mein ich.«
    Noch reagierte ich nicht, er
steckte die Schaufel in den Kübel und reichte mir die freigewordene Hand.
»Mitch«, sagte er, »Mitch Burton. Herzlich willkommen auf meinem Grundstück.«
Hinter ihm ragte ein Baugerüst in die Höhe, eine der Wände des Hauses war
frisch getüncht, in den Halbturm war ein großes Fenster gemauert worden, das
klassizistische Portal hatte man sorgfältig restauriert.
    Langsam fügten sich die
Einzelteile zu einem Bild. Zweifelsfrei befand ich mich im Garten von Greta Hall,
und die Zwerge waren offensichtlich die Kinder des neuen Mieters. »Ich hatte«,
sagte ich verwirrt, »eigentlich ein Mädchenpensionat erwartet.«
    Mitch setzte eine Miene auf wie
ein Greenpeace-Aktivist, der gerade eigenhändig einen gestrandeten Wal ins offene
Meer zurückbefördert hatte. »Das war es tatsächlich«, sagte er verächtlich,
»aber ich hab’s ihnen einfach abgekauft. Denn Greta Hall, das können Sie nicht
wissen, war einst der Wohnsitz eines großen Dichters!«
    Damit hatte ich nun gar nicht
gerechnet. Das konnte vieles erleichtern. Doch meine Skepsis, genährt von der
Erfahrung der letzten Tage, behielt die Oberhand.
    »Southey«, sagte ich schwach.
    »Southey!« dröhnte der Schotte
und donnerte den Kübel samt Schaufel in die Schlammkiste, daß seine

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