Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
Petersdom spendiert
hatte.
    Ein paar wacklige Schritte, und
ich war am Fenster.
    Da waren sie, die Fells hinter
Derwent Water im Südwesten — »gewaltig«, schreibt Coleridge, »als hätten Riesen
hier ihre Zelte aufgeschlagen« — die Talschneisen von Borrowdale im Westen und
der mit Wolkenschatten spielende Baissenthwaite Lake im Nordwesten. Ich spürte
die Herbstkälte vom Boden aufsteigen; sie verband sich mit der Nässe meiner
Kleidung und ließ mich zittern. Die Frontseite, die den Winden trotzen sollte,
war damals in solchem Eiltempo gebaut worden, daß häufig eisige Zugluft durch
die Zimmer strömte, was die desaströse Wirkung der Feuchtigkeit noch
verstärkte.
    Beides hatte also die zwei
Jahrhunderte überdauert: das gerahmte Stück Natur, das ihn so über die Maßen
angezogen, aber dann doch abgeworfen hatte; die Kälte, die seine Beine
hochgekrochen war und seine Gicht gefüttert hatte.
    Und doch: irgend etwas stimmte
nicht. Das Hochgefühl wollte sich nicht wirklich einstellen, es saß als
Abstraktum in meinem Kopf, von der Macht des Wünschens herbeigezwungen. Ich
blickte mich im Zimmer um, jetzt mit dem Rücken zum Fenster, der Tür zugewandt,
und schlagartig wurde mir klar: Der Grundriß war seitenverkehrt.
    Das Zimmer wurde zum Fenster
hin schmäler, nicht breiter wie in den Träumen.
    Ein Trapez, ja. Aber mit der
Türwand als Grundlinie.
    Ich war schon wieder ins Leere
gelaufen.
    Stürzte an Mitch vorbei, der
die Welt nicht mehr verstand, ich konnte und wollte mich jetzt nicht erklären,
ich hatte keine andere Option als die Flucht.
    Nach einer Viertelmeile blieb
ich stehen, die Lungen rasselten, ich brauchte dringend eine Benson. Der Himmel
führte an einer goldbestickten Leine seine Sonne spazieren, ganz launischer
Dandy mit exotischem Haustier; und im Nachmittagslicht sah ich noch einmal
Greta Hall, das sturmgebeutelte Scheinparadies von Samuel Taylor Coleridge und
Mitch Burton.
    »Palace of the Wind«, nannte es
Southey.
    Ein herzensguter Mann. Und
mittelmäßig war immer noch besser als von allen guten Geistern verlassen.
    Wo sich mein Elf wohl gerade
herumtrieb?

Elf Den zweiten Teil meiner Reise mußte ich professioneller planen, keine Frage.
Mir gefiel zwar die Doppeldeutigkeit des Satzes »ich suche ein Zimmer«, und ich
genoß die ausschließlich pragmatischen Hinweise, die ich daraufhin erhielt; ein
wohliges Schaudern breitete sich in diesen Situationen in mir aus, als trüge
ich ein Geheimnis mit mir herum, das die normal Sterblichen niemals begreifen
könnten — doch gerade die absurdesten Unternehmungen benötigen die
sorgfältigste Vorbereitung.
    Ich erwarb reich bebilderte
Reiseführer für Devon und Somerset, eine Landkarte, in die ich den Standort
jener Häuser eintrug, deren Zimmer ich noch aufzusuchen gedachte, sowie eine
Liste sämtlicher Tourist-Information-Offices der beiden Grafschaften. Wenn ich
schon Dinge tat, von denen der vernünftige Anteil meiner Person sich mit
Entsetzen abwenden mußte, dann wenigstens in einem würdigen Ambiente. Fürstlich
ausgestattetes Zimmer mit imposantem Blick auf die Küste, Smokers Welcome ,
das waren so meine Minimalanforderungen. Nether Stowey kam nicht in Frage, es
lag nicht am Meer, außerdem gab es kaum Unterkünfte; außer Coleridge Cottage
schien sich in Nether Stowey absolut nichts zu befinden. Also untersuchte ich
die Nordküste von Devon und Somerset, genauer: den Abschnitt zwischen Porlock
und Lynton, wo Coleridge im Herbst 1797 den Pleasure Dome des Khan
erblickt hatte. Zuerst dachte ich an Porlock, ich entdeckte auf den Abbildungen
im Guide to Somerset das Ship Inn, in dem Coleridge im magischen Jahr
mehrmals — allerdings nicht bei der Xanadu-Wanderung — übernachtet hatte. Das
gab es also immer noch, interessant. Doch ich las nach und fand heraus, daß
auch Porlock nicht direkt am Golf von Bristol lag; der Hafen, Porlock Weir, bestand aus ein paar Fischerhütten und Bootshäusern, der Ort selbst war vier
Meilen entfernt, von Meerblick keine Spur. Taugte also auch nicht zum
Basislager für meine Exkursionen. Blieb Lynton. Mit Mißtrauen las ich, daß auch
dieser Ort eigentlich aus zwei Hälften bestand; es stellte sich jedoch heraus,
daß die Aufteilung weitaus einleuchtender war als in Porlock. Hoch oben auf den
Klippen lag Lynton, etwa tausend Fuß darunter Lynmouth, so direkt an der
Brandung wie nur irgend möglich. Zwischen den Ortshälften verkehrte eine vom
Reiseführer als weltweite Einzigartigkeit gepriesene

Weitere Kostenlose Bücher