Der Weg nach Xanadu
Dejection, könnte ich auf dieses grüne Licht im Westen starren, es
wäre ein vergebliches Bemühen:
I may not hope from outward
forms to win
The passion and the life, whose
fountains are within.
Ich darf nicht hoffen, aus
äußeren Formen
Die Leidenschaft und das Leben
zu gewinnen, deren Quellen im Inneren sind.
Wer dazu in germanischer
Gedankenträgheit »Innerlichkeit« sagen muß, der hat, glaube ich, nicht das
geringste verstanden.
Doch in den höhergelegenen
Schichten des Textes spricht die Ode natürlich nicht von gesellschaftlichen
Entwicklungen, sondern von einem höchst privaten Abstiegskurs. Die sechste
Strophe etwa ist ein von genauer Selbstbeobachtung geprägter Dreistufenplan des
Niedergangs. Auch wenn die Leiden und Enttäuschungen mich immer schon begleitet
haben, schreibt Coleridge sinngemäß, so war doch jedes Unglück nur der Stoff,
aus dem ich neue Träume des Glücks entwerfen konnte, denn die Hoffnung wuchs
rings um mich »wie der rankende Wein«. In der zweiten Stufe verschwinden
Zuversicht und Zukunftsphantasien, und die Wiederkehr der Enttäuschungen
zersetzt den letzten Rest von Lebensfreude. Doch selbst dieser Zustand ist noch
erträglich; die wirkliche Verzweiflung setzt erst ein, wenn das Bombardement an
Heimsuchungen jenen Kernreaktor trifft, in dem aus den Spaltungen der
Persönlichkeit zumindest noch poetische Energie gewonnen wird: »the shaping
spirit of imagination«. 7 Dann nämlich, wenn die ohnehin schon jeder Erfüllungshoffnung beraubten
Sehnsüchte nicht einmal mehr gedacht werden dürfen, um die gläserne
Lebenslüge nicht in Scherben gehen zu lassen, verabschiedet sich auch der
letzte tröstende Geist mangels Nahrung endgültig und kehrt heim in die Zone der
Gespenster, wo er wenigstens besser gefüttert wird.
Das anstelle des Gefühlten
Gedachte muß, um seine Funktion als Ersatz dessen, was nicht gewünscht werden
darf, erfüllen zu können, so weit vom Gegenstand des Begehrens entfernt, so
radikal entkörperlicht sein, daß der Grad seiner Abstraktion wiederum gnadenlos
auf die Lebendigkeit des derart mit seiner Begierde verfahrenden Subjekts
zurückschlägt. Verdrängung, raunt das zwanzigste Jahrhundert seinen mit
Boulevard-Psychoglossen verwöhnten Kindern ins Ohr, gescheiterte Sublimierung,
Körperpanzer. Schnell erklärt, der Fall STC. »Denn nicht an das zu denken«,
sagt Coleridge selbst, »was ich gezwungen bin zu fühlen, / sondern ruhig und
geduldig zu sein, ist alles, was ich kann: / Und vielleicht durch abstruse
Forschungen / meiner eigensten Natur ganz den natürlichen Menschen zu stehlen.«
Was sich da noch aufbäumt, diese aus zwei unterschiedlich hitzeresistenten
Metallen zusammengeschmolzene Schlange, weiß um die Glaskuppel, die sie umgibt
und aus der kein Entrinnen möglich ist. Züngeln kann sie noch, ihre Giftzähne
zeigen; die Kuppel durchbrechen kann sie nicht mehr. Hallo, ihr von der Natur
Gesegneten, Happy Wedding, Mr. and Mrs. Wordsworth, steckt nur eure Köpfe fürs
Ewige zusammen, ich meinerseits habe mich mit meinem Maul am eigenen
Schwanzende festgesaugt, eingerollt in mich selbst liege ich bimetallig herum,
die Temperatur meines Herzens krümmt die beiden Metalle verschieden stark, fast
reißt es mich auseinander, aber wenn der Schlangenkopf den Schwanz wieder
losläßt, kann ich ihn hochrecken und in die dünnen Wölkchen der Metaphysik
tauchen lassen, die durch mein Zimmer ziehen. Ich kann nicht mehr hin, wo ich
hin will, also bleibe ich da, wo ich bin. Aber wenigstens weiß ich mehr als
ihr, weil ich dabei bin, zu erfahren, »wie das, was einem Teil von mir paßt,
das Ganze befällt, / und nun beinahe schon hineingewachsen ist in die
Gewohnheit meiner Seele«, wogegen die Gewohnheiten eurer Seele euch verborgen
bleiben, und dieses Unwissen wird euch zum Verhängnis werden und nach und nach
eure Hochzeitsbilder verblassen lassen, während das Wissen vielleicht über kurz
oder lang alle Schlangen in Vögel verwandelt, alle Geister ins Fleisch
heimgeholt haben wird.
Innerhalb der Glaskuppel hat
sich also der formstiftende Geist der Imagination verflüchtigt und als Hüterin
des Chaos eine Schlange zurückgelassen, die dem Ich der Ode gleichzeitig als
Dämon, den es zu verjagen gilt, als Gestalt der eigenen Gedanken und als
»dunkler Traum der Wirklichkeit« erscheint, die jedoch nichts anderes ist als
der sprechende Körper selbst, der dem auf ihm thronenden Haupt dessen einsame
abstrakte Souveränität nicht kampflos
Weitere Kostenlose Bücher