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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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viktorianische Bahn, die
mit Hilfe des Gewichtes enormer Wassermassen den Höhenunterschied bewältigte.
Klang gut, fand ich, notierte die Nummer des Tourist Information Office
Lynton & Lynmouth auf den Deckel einer Benson-Packung und
behelligte den schon am frühen Abend recht apathisch in den Gewässern des
Malzwhiskeys dahindümpelnden Hausherrn mit der Bitte, telefonieren zu dürfen.
Ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden, warf er die freie Hand nach hinten und
entlockte seinem Sprachapparat ein paar erschütternd kreatürliche Phoneme — ich
durfte also, wie schön. Die freundliche Frauenstimme am anderen Ende der
Leitung erklärte mir, ich könne gerne meine Faxnummer hinterlassen und würde
dann umgehend eine komplette Liste der Unterkünfte erhalten. Kein Fax, knurrte
ich, nicht mal heißes Wasser, selbst kaltes nur gelegentlich, könnten Sie nicht
etwas heraussuchen für mich, eine Unterkunft, die diesen Namen verdient, wenn
Sie wüßten, wie ich hier hausen muß, würden Sie mich sofort mit dem Helikopter
des British Tourist Board von hier herausfliegen lassen tut mir leid,
sagte sie höflich, nachdem ich fertig war, sie hatte wohl kein Herz für
Hysteriker vom Kontinent, telefonisch können wir gar nichts für Sie tun. Sie
müssen sich schon herbemühen. Könnten Sie mir nicht wenigstens ein, zwei
empfehlenswerte Adressen bzw. Telefonnummern, ich würde dann selbstverständlich
selbst anrufen, ich wäre Ihnen wirklich von ganzem Herzen, über alle Maßen...
    Bedauerlicherweise hatte sie
schon aufgelegt. Ich ließ jede Höflichkeit fahren und fiel ohne eröffnende
Floskel neben den Forellenfischer auf die Couch. Den Gesetzen der Hebelwirkung
entsprechend, hob es ihn ordentlich aus. Er drehte mir langsam seinen
scharlachfarbenen Schädel zu, dachte ein wenig nach, prüfte mich, indem er
meinen Nasenknorpel lange zwischen den Kuppen seines rechten Daumens und
Zeigefingers hin- und herrollte, und akzeptierte mich am Ende mit einer Verzerrung
seines Mundes, die ich, gutgläubig wie ich bin, ohne Zögern als Lächeln
deutete. Ich griff mir ein verstaubtes Glas aus der Vitrine unter den
präparierten Fischköpfen, stellte es wortlos vor mich auf den Tisch. My
Landlord begriff sofort, tastete nach der Flasche Glenfiddich, schaffte es
beim dritten Mal, sie zu fassen, und schenkte mir ein. Das heißt, er versuchte
es. Ungefähr ein Viertel der gespendeten Flüssigkeit landete in meinem Glas,
der Rest ergoß sich gleichmäßig über die Tischplatte und meine Hose,
fatalerweise ein teures, äußerst diffizil zu reinigendes Kleidungsstück, das
ich heute morgen aus kindlichem Protest gegen die Armseligkeit meiner Behausung
anzulegen beschlossen hatte.
    » Danke«, sagte ich höflich,
und ob ich auch ein wenig Wasser dazu haben könnte? Nein, nicht für den
Whiskey. Für die Hose. Oben stöhnte die Gemahlin auf, wie mit einem kalten Guß
aus dem Tiefschlaf geweckt, oder phantasierte ich schon?
    Just in diesem Augenblick
kippte mein Gastgeber zur Seite, leider nach links, und schickte sich an, auf
meinen Knien seine Nachtruhe zu beginnen. Unsanft hebelte ich ihn hoch, er
kippte nach rechts, seine Schulter pendelte sich auf der Couchlehne ein, sein
Kopf hing allerdings ins Leere. Ich ließ ihn so liegen und kletterte hoch in mein
Loch.
    Lynton, betete ich noch kurz
zur Nacht, Lynton, ich komme. Seid auf der Hut, ihr Nornen vom Tourist
Office. Ab jetzt spinne ich meine Schicksalsfäden selbst.

Zwölf Reisen in England. Man hatte seit der Privatisierung der British Rail die Wahl
zwischen unverschämt überteuerten Zügen, die noch dazu in einem Zustand waren,
der den Fahrgast in jedem der Abteile ein Messingschild mit der Aufschrift By
Appointment To Her Majesty, Queen Victoria vermuten ließ, und
Überlandbussen, deren Liniennetze ungefähr so engmaschig waren wie das
Sozialnetz unter der Eisernen Lady.
    Ich bastelte mir aus diversen
Teilstrecken eine halbwegs vernünftige Route zusammen, inklusive Nachtzug, oder
besser Nachtzüge, ich mußte ja ständig samt meiner Gepäckberge an den abstrusesten
Bahnhöfen umsteigen, an Schlaf war nicht zu denken. Am Ende saß ich in einem
Frühbus von Barnstaple nach Lynton, mein Kopf lehnte trotz der Erschütterungen
beharrlich an der Fensterscheibe, ich sehnte mich abwechselnd nach meinem
Wiener Bett und meinem Londoner Lieblingsinder. Gegessen hatte ich seit
fünfzehn Stunden nichts mehr, wenn man von ein paar Tafeln Cadbury’s und einem
lauwarmen Cheeseburger mit

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