Der Weg nach Xanadu
Samuel
Taylor Coleridge, als er als Soldat bei den Leichten Brigaden von Shellings
Regiment anheuerte, um seinen Schulden von Cambridge zu entfliehen. Er
unterschrieb mit dem Namen Silas Tomkyn Comberbach.«
Hatte ich in Stowey doch noch
etwas Neues erfahren.
»Halten Sie sich nicht mit dem
alten Schrott auf«, sagte Mr. Francis, »hier drüben sind die wahren Schätze.«
Stolz zeigte er auf ein verglastes Regal in einer Mauernische. Dort lagen, neben
einem Tintenfäßchen und einer Schreibfeder, ein paar Haarsträhnen, mit einem
roten Bändchen umwickelt. »Das«, sagte Damian, »ist eine Locke von Sara
Hutchinson, die Coleridge in seiner Jackentasche zu tragen pflegte.«
Ȇberbracht von Mary, Mai
1800«, sagte ich brav, ich wollte seinem Besitzerstolz die angemessene Achtung
entgegenbringen, auch wenn sich meine Faszination in Grenzen hielt. Ehrfurcht
vor Reliquien war mir immer schon verdächtig gewesen.
»Das ist«, sagte Francis, er
war nicht zu bremsen, »noch längst nicht alles.«
Er öffnete eine Art
Giftschränkchen, holte eine Ledermappe heraus, klappte sie auf und hielt sie
mir unter die Nase. »Jetzt«, sagte er, »sind Sie wohl sprachlos.«
Das Stück Papier in der Mappe
war das Faksimile einer Notebook-Seite vom April 1805.
»O Sara!«, schreibt Coleridge,
»wenn nur mein miserables Schicksal von mir abließe, wie gerne würde ich mir
dann dich und mich als Zugvögel vorstellen, wechselseitig in den Lüften
aufeinander ruhend, damit einer den anderen stütze auf dem langen Flug, der
schrecklichen Reise.«
»Schön«, sagte ich.
»Von wegen schön!« donnerte
Francis, »ein Dokument tragischer Verwirrung! Er sitzt auf Malta, während er
das schreibt, Tausende Meilen von ihr entfernt. Sie spielt das Hausmädchen für
Wordsworth in Coleorton. Was soll daran schön sein?« Und noch ehe ich mich
verteidigen konnte — ich wollte doch nur die Qualität des Faksimiles rühmen — ,
fügte er mit brüchiger Stimme hinzu: »Das Schreckliche an dieser Reise ist: Sie
haben sie nie angetreten. Ich mach uns noch Tee.«
Während Francis unten mit dem
Wasserkessel hantierte, lehnte ich mich mit dem Rücken an eine Wand und
betrachtete die Locke.
Vielleicht hatte der Mann ja
recht. Trotzdem blieben zu viele Punkte ungeklärt. Wäre Asra nach einer
Scheidung wirklich in Samuels Arme gefallen? Ihre eigenen Hochzeitspläne hatten
sich grausam zerschlagen, John Wordsworth war tot, und spätestens nach
Coleridges Rückkehr aus Malta gab es seine Ehe nur noch auf dem Papier. Warum
nicht jetzt?
Sara Hutchinson traf Coleridge
gemeinsam mit Wordsworth am 29. Oktober 1806 zu einer Aussprache,
ironischerweise in Kendal, dem Herstellungsort des Giftes, das ihn zerfraß.
Worüber genau gesprochen wurde, ist nicht überliefert. Wenige Tage später
schüttet Coleridge seine verzweifelte Sehnsucht in Strömen auf die Seiten des
Notizbuchs, für ihn ist alles ganz klar: »Ich weiß, daß du mich liebst! — Meine
Vernunft weiß es, mein Herz fühlt es; aber laß es doch deine Augen, deine Hände
mir sagen; o sag doch, o sag bitte oft und oft, Mein Liebster! Ich liebe dich!
Je mehr mein inneres Wesen diese Liebe spürt, desto mehr verlangen meine
äußeren Organe danach«, und so weiter, in einer ungehemmten Suada, mündend in
einen Hilfeschrei an die Geliebte, »o gib doch meiner ganzen Natur ihre Balance
und Harmonie zurück!«
Sie tat es nicht, wie wir
wissen. Die Art und das Ausmaß ihrer Gefühle zu Coleridge bilden den berühmten
weißen Fleck auf der Landkarte der Rekonstruktion. Die Briefe, die sie ihm nach
dem Treffen in Kendal aus Coleorton schrieb, sind verschollen; glaubt man
Dorothys Tagebüchern, so teilte Sara bei der ersten Begegnung nach der Rückkehr
aus Malta ihr Entsetzen über Coleridges körperlichen Verfall, sein
aufgedunsenes Gesicht und die geschwollenen Glieder. Vielleicht war er ihr
schlichtweg nicht ganz geheuer, der verfluchte Dichter. Die wenigen Indizien,
die es gibt, deuten jedenfalls nicht auf eine feurig erwiderte Leidenschaft
hin. Wordsworth’ Rolle als Vermittler war wie immer ambivalent.
(»Euphemismus!«, höre ich Martin rufen, »selbstsüchtig und bigott, nennen Sie
doch die Dinge beim Namen!«) Einerseits um das Wohl seines Freundes besorgt
(Martin: »Natürlich! Er brauchte ihn ja als Korrekturleser für The Prelude !),
hätte er sich wahrscheinlich mit dem Gedanken, Coleridge als Liebhaber seiner
Schwägerin unter dem eigenen Dach beherbergen zu müssen, nur schwer
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