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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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verschlungen.
    Der Kamin war hübsch auf alt
getrimmt; daß er wirklich, wie der Zettel versicherte, zweihundert Jahre alt
war, konnten nur einfältige Geister glauben. An den Wänden hingen
Reproduktionen, nichts, was ich nicht schon aus Büchern kannte, das
Coleridge-Porträt von Peter Van Dyke; der reaktionäre Gillray-Cartoon aus dem Anti-Jacobin
Magazine & Review, der die Demokraten und Radikalen um Coleridge
und Southey als Kröten und Esel zu verunglimpfen versuchte; Porträts von Sarah,
Poole, Southey und Joseph Cottle, Coleridges erstem Verleger aus Bristol.
    Der zweite Raum im Erdgeschoß,
die ehemalige Küche, beherbergte neben einem Druck des Stage Coach Break
fast von Rippingille — Coleridge, Wordsworth und andere beim Frühstück —
und einem hübschen Aquarell von Greta Hall eine Mini-Bibliothek, für deren
Ausstattung zweifellos ein Eingeweihter verantwortlich war. Hier war auf
wenigen Regalen fast alles zusammengetragen, was ein Coleridge-Süchtiger zum
Überleben benötigte. Die Oxford-Press-Gesamtausgabe; die Selected Poems, herausgegeben von Ted Hughes, samt erleuchtetem Essay als Vorwort; die
bahnbrechende Biographie von Richard Holmes — und dazwischen ein schmales
Bändchen aus der Psychologie-Reihe von Faber & Faber: Understanding
Women.
    Bückte mich gerade, um einen
Bildband mit Gustave Dorés Mariner-Illustrationen aus einem unteren Regal zu
fischen, eine symbolische Verneigung vor der unerwarteten Fülle gewissermaßen,
als ich eine Hand auf meinem Rücken spürte.
    Der Hüter des Hauses stand
hinter mir, strahlte bis zum Haaransatz und streckte mir die Hand entgegen.
»Francis«, sagte er, »Damian Francis. Sehr erfreut. Ich sehe, Sie kennen sich
aus.« Er räusperte sich, er kämpfte mit einem Satz, er wollte ihn schlucken, es
gelang nicht, und schon war er ihm herausgerutscht. »Ist selten bei deutschen
Besuchern.«
    Dabei hatte ich bisher nur ein
paar Worte gesagt, akzentfrei selbstverständlich.
    Binnen kurzem waren wir in die
schönste Fachsimpelei vertieft, Sir Damian hatte zwei Klappsessel
herbeigezaubert, stabil gebaut, wie sich zu meiner Erleichterung herausstellte,
dazu zwei Tassen Tee und einen Aschenbecher. Seine Rede über Coleridge war von
einem fürsorglichen Geist durchweht; er schien davon überzeugt zu sein, daß
dieser begnadete Unentschlossene, wie er ihn nannte, niemals so viele fatale
Fehlentscheidungen hätte treffen können, wenn ein gewisser Damian Francis schon
damals auf der Welt gewesen wäre, um ihn unter seine väterlichen Fittiche zu
nehmen. »Schauen Sie«, sagte er und zeigte mit einem vergilbten Finger durchs
Fenster in den Garten, »dort drüben war Thomas Pooles Cottage, Gartentür an
Gartentür. Der hätte ihm helfen können. Und was hat Poole getan? Auch das
Falsche. Hofiert dieses Fricker-Miststück. Statt dem armen Jungen bei der
Scheidung zu helfen.«
    Ganz ohne Zweifel hatte Damian
Francis keine sehr hohe Meinung von Mrs. Coleridge.
    Meine Einwände, etwa am
Beispiel der Deutschland-Reise, ließ er nicht gelten. Ich war mir nicht sicher,
ob er überhaupt zugehört hatte. »Machen Sie sich nichts vor«, sagte er, während
er sich die fünfte oder sechste Zigarette drehte, »diese Ehe war Mist. Ein
großer Haufen Mist, in dem der Junge erstickt ist.« Als ich das annus mirabilis
ins Gespräch brachte, neugierig auf seine Spekulationen, spuckte er ein
Klümpchen Tabak aufs Fensterbrett. »Von wegen Geheimnis!« sagte er, »sein
ganzes Leben lang hätte er so weitergeschrieben, mit der richtigen Frau an
seiner Seite.«
    Wie Martin von der Idee
besessen war, Wordsworth hätte Coleridges Karriere zerstört, so war Mr. Francis
von dem Gedanken beseelt, daß nur ein einziger Schritt in der Lage gewesen
wäre, Coleridges Leben aus dem Desaster zu führen: Die FFeirat mit Miss Sara
Hutchinson.
    »Kommen Sie«, sagte Francis,
»ich zeige Ihnen etwas.« Wir stiegen die Wendeltreppe zum Schlafzimmer hoch, in
meinen Halsschlagadern meldete sich ein rhythmisches Pochen. Francis betrat das
Zimmer, ich blieb vor der Türe stehen. »Was ist los, Doktor«, fragte er. »Nicht
mehr interessiert?«
    »Doch«, sagte ich, »dochdoch.
Mehr als Sie glauben.« Ein Schritt, und ich stand im alten Bedroom von Sarah
& Samuel.
    Nein. Wieder nichts. Nicht
einmal entfernte Ähnlichkeiten. Die Luft pfiff mir aus den Lungen, ich hatte zu
lange nicht ausgeatmet.
    In einer Glasvitrine lehnte ein
Schwert. »Schwert«, erklärte das Schild daneben, »getragen 1793 von

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