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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Goldkettchens zwischen zwei Halswirbeln,
packte mich plötzlich eine derart heftige Sehnsucht nach der Normalität, daß
ich beinahe die Notbremse gezogen hätte. Ich mußte raus aus diesem Film,
sofort. Die Universität verklärte sich in meiner Erinnerung zu einem wahren
Palast: keine grünstichige Fata Morgana, sondern eine Zitadelle der Vernunft.
Laß es uns zu Ende bringen, sagte ich laut, so schnell wie möglich. Eine der
Ladies drehte sich freundlich zu mir um, ich winkte ab.
    Drei Zimmer noch, dann war der
Spuk vorbei. Nether Stowey, die Farm, das Ship Inn. Dann hatte ich meine
absurde Schuldigkeit getan, konnte in meine angestammte Welt zurückkehren, Anna
vergessen und die Träume mit Rohypnol bekämpfen.
    »Anna vergessen« war der
schwierigste Punkt auf meiner Erledigungsliste.
     
    In Minehead mußte ich raus, die
Wartezeit auf den nächsten Bus war glücklicherweise kurz. Der flüchtige
Eindruck, den ich in dieser halben Stunde von Minehead gewann, hätte auch keine
längere Besichtigung gerechtfertigt. Einkaufsstraßen, Hotelanlagen, ein gräßlicher
Luna-Park, Little-Caorle-at-the-Seaside: eindeutig zu viele Menschen für das
bißchen schäbigen Strand.
    Die Fahrt nach Stowey wurde mir
von zwei Walisern oder Iren versüßt, die in schönstem Gälisch dahinstritten.
    In Stowey hielt der Bus vor dem
»Ancient Mariner«. Ein schöner Name für ein Pub neben dem Lime Street Cottage.
Mit dem Schiff, das das Pubemblem zierte, wäre der Alte Seemann aber höchstens
einmal ums Hafenbecken gekommen. Wollte mir ein Bier gönnen vor der
Besichtigung, doch ein lauter Streit an der Theke ließ mich auf der Schwelle
stehenbleiben. Ein Schwarzer stand an der Bar und hielt eine Pfundnote über den
Tresen. Doch der Kellner, auch äußerlich das Klischee eines Rednecks, wollte
ihm nichts ausschenken. »No niggers in this pub«, schrie er, »no fucking
niggers!« Der Zorn fuhr mir in die Magengrube und wäre von dort wohl weiter in
meine Fäuste gewandert, wenn ich über einen kampfbereiten Körper verfügt hätte
und über die nötige Portion Mut. Statt dessen war ich nicht einmal in der Lage,
diesen Wurm mit Worten zu zertreten. Paralysiert blieb ich im Türrahmen stehen.
Als der Schwarze an mir vorbei auf die Straße trat, wollte ich etwas zu ihm
sagen, ihn auf ein Bier einladen ins nächste Pub oder dergleichen — aber selbst
dafür war ich zu feig.
    Irgend etwas mußte ich tun.
    Ich hielt mich am Türrahmen
fest und holte Luft.
    »O Geist von Samuel Taylor
Coleridge«, schrie ich zur Theke hin wie ein besessener Wanderprediger, »fahr
herab und zermalme dieses Insekt!«
    Das Insekt hatte einen ziemlich
massiven Oberkörper; es kam hinter dem Tresen hervor und auf mich zu. Kein
Geist fuhr herab, und ich, schamrot im Gesicht, suchte das Weite.
    Irrte noch ein paar Minuten
durch die Gassen von Stowey, wütend über meine Hilflosigkeit, bis ich bereit
war für Coleridge Cottage.
    Schöne hellgelbe Fassade, aber
sicher nicht alt. Die unveränderte Bausubstanz, von der ich gelesen hatte,
betraf nur die Innenräume. Eine schlichte Gedenktafel neben der Tür: Here
Samuel Taylor Coleridge made his home, 1797-1800. Der Besucherandrang hielt
sich in Grenzen. Ich war der einzige. Die Tür war verschlossen, unter dem
Wappen des National Trust fand ich einen dezenten Klingelknopf.
    »Sie wünschen?« fragte der
weißhaarige Gentleman — Seitenscheitel mit dem Lineal gezogen, aschfarbene
Strickjacke, brennende Filterlose zwischen den Fingern — , als hätte ich ihn
bei einer Bridgepartie unterbrochen.
    Ich sei, sagte ich höflich, ein
Besucher des Lime Street Cottage und hätte gern einen Blick in die Räume
geworfen.
    »Zwei Pfund«, sagte er und
drückte mir einen Zettel in die Hand. Welcome to Coleridge Cottage.
    Es gab vier Räume zu
besichtigen, zwei zu ebener Erde — das ehemalige Gästezimmer und die Küche —
und zwei im ersten Stock, das Schlafzimmer und das Arbeitszimmer. Obwohl ich
vielleicht nur durch die Wendeltreppe, the original spiral stairs, wie
mein Zettel beteuerte, von meinem Traumzimmer getrennt war, ließ ich es
gemächlich angehen und fing mit dem Gästezimmer an. Hier hatte Charles Lloyd,
verwöhnter und neurotischer Sprößling der Banker-Dynastie, im Frühjahr 1797
gegen einen vernachlässigbaren Unkostenbeitrag Aufnahme gefunden. Er dankte es
seinem großzügigen Gastgeber mit einem bösartigen Porträt in seinem Roman Edmund
Oliver, einem eitlen Machwerk, zu Recht vom Sumpf des Vergessens

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