Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
Besonders gut konnte Cabby mit dem Taschenrechner umgehen. Zwei davon stibitzte er, versteckte sie in seinem Rucksack und benutzte sie während des Vormittags ein paarmal heimlich. Auch das Schreiben von Wörtern beherrschte er bemerkenswert gut. Er malte sie, als wären es Zeichnungen, kopierte sie von der Tafel in ein Notizbuch, von denen er bereits viele vollgeschrieben hatte.
Tony verhielt sich ruhig, wollte keine Aufmerksamkeit auf sich oder Cabby lenken. Der junge Mann verstand offensichtlich, dass Tonys Anwesenheit ihr gemeinsames Geheimnis war. Aber wenn er während des Tages Gelegenheit hatte, unbeobachtet in einen Spiegel zu schauen, hielt er sein Gesicht dicht davor und flüsterte: »Too-ny?«
»Ja, Cabby, ich bin noch da.«
Cabby lachte, nickte einmal heftig, und dann stürzten sie sich wieder in die Schulaktivitäten.
Tony war von der Freundlichkeit und Geduld der Lehrer und Betreuer und der als freiwillige Helfer anwesenden Highschool-Schüler überrascht. Es erstaunte ihn, dass so viele Menschen tagtäglich Zeit und Engagement in das Leben anderer investierten.
Zum Mittag aß Cabby mitgebrachte aufgewärmte Burritos vom Frühstück, eine Käsestange und ein paar Feigen-Newtons. Und alles, was er aß, schienen Lieblingsspeisen zu sein. Der Sportunterricht war eine Mischung aus Tanz und unbeholfenem Slapstick, aber alle überstanden ihn unversehrt. Für Tony war das eine gänzlich ungewohnte Welt, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie, an Cabby gefesselt, über sich ergehen zu lassen. Und zu seinem Erstaunen verspürte er dabei ein ihn zutiefst erdendes Realitätsgefühl. Das war das Leben: gewöhnlich und doch außergewöhnlich und unerwartet. Wo war er nur all die Jahre gewesen? Er hatte sich versteckt. Das war vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber zumindest ein Teil von ihr.
Zeit mit diesen Jugendlichen zu verbringen war zugleich schwierig und eine unerwartete Freude. Sein Scheitern als Vater wurde ihm hier schmerzlich bewusst. Eine Zeit lang hatte er sich damals wirklich Mühe gegeben, sogar Bücher über das Vatersein gelesen, aber nach Gabriels Tod … er hatte dann die Erziehung ganz Loree überlassen und war in die sicherere Welt von Leistung, Geschäft und Erfolg zurückgekehrt. Wenn ihn deswegen im Alltag Gewissensbisse geplagt hatten, hatte er sie rasch in die hinteren Winkel seiner Seele verbannt, wo sie sich leichter ignorieren ließen.
Maggie traf pünktlich ein, noch im Schwesterndress. Als sie hereinkam, erhellte sie den Raum mit ihrer geselligen Ausstrahlung und zupackenden, fürsorglichen Art. Nachdem sie Cabby (und Tony) in ihrem verbeulten Wagen nach Hause verfrachtet hatte, putzte sie ein Huhn, bereitete ein paar Beilagen vor und schob das Huhn in den Backofen. Cabby war ein bisschen sauer, dass er keinen seiner zwei neuen Taschenrechner durch die Ausgangskontrolle der Schule hatte schmuggeln können. Er beschäftigte sich mit Puzzeln, malte mit Buntstiften und errang in dem Videospiel Zelda, das er gut beherrschte, einen Sieg. Alle paar Minuten flüsterte er: »Too-ny?«, und wenn Tony antwortete, wurde er jedes Mal mit einem Lachen belohnt.
Als das Huhn genügend abgekühlt war, wusch sich Cabby die Hände und löste dann rasch und geschickt das Fleisch von den Knochen. Seine Hände waren völlig verschmiert, ebenso sein Mund und Kinn, da er, ganz aus Versehen, die besten Bissen genascht hatte. Das Abendessen bestand einfach darin, dass dem Huhn noch Kartoffelbrei und gekochte Möhren hinzugefügt wurden.
»Cabby, soll ich dir helfen, Anziehsachen für die Kirche auszusuchen?«, fragte Maggie.
»Ich helfe dir«, flüsterte Tony, als könnte Maggie ihn hören.
»Nö«, flüsterte Cabby und strahlte, als er auf sein Zimmer ging.
Die beiden erkundeten Cabbys Kleiderschrank und Schubladen, bis sie sich auf das richtige Outfit geeinigt hatten: Jeans, Gürtel, ein langärmeliges Hemd mit Druckknöpfen und ein Paar schwarze Velco-Turnschuhe. Das Anziehen brauchte seine Zeit, wobei der Gürtel eine besondere Herausforderung darstellte, aber schließlich war es geschafft, und Cabby eilte zurück in die Küche, um sich Maggie zu präsentieren.
»Nun sieh einer an!«, rief sie aus. »Was für ein hübscher junger Mann du bist! Und du hast das alles allein ausgesucht?«
»Too …«, begann Cabby.
»Schsch«, zischte Tony.
»Schsch!«, flüsterte Cabby und legte den Finger auf die Lippen.
»Schsch? Was soll das denn heißen?«, lachte Maggie. »Warum soll ich
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