Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
blieb verblüfft stehen. Keine fünfzig Meter voraus stand eine dicht gedrängte Ansammlung von Gebäuden unterschiedlicher Qualität und mit Dimensionen, die der Architekt offenbar völlig falsch berechnet hatte. Ein paar hundert Meter hinter diesem unansehnlichen Gebäudekomplex ragte der mächtige äußere Festungswall in die Höhe und markierte den Rand seiner Ländereien, den er bislang nur aus der Ferne gesehen hatte. Als er das Innere der Mauer zum ersten Mal betreten hatte, hatte er der Ausführung der Bollwerke kaum Aufmerksamkeit geschenkt, aber nun betrachtete er sie genauer. Offenbar waren sie aus gigantischen Steinblöcken erbaut, die man mit großer Sorgfalt und Präzision aufeinandergeschichtet hatte. Dieser undurchdringliche Wall ragte mindestens hundert Meter oder noch mehr in die Höhe. Tony vermochte es nicht zu sagen, denn die Mauer verschwand in einer niedrigen Wolkendecke.
Aus einem Gebäude tauchte ein großer, dünner Mann auf. Er sah sonderbar aus. Etwas stimmte nicht mit ihm. Sein Körper schien falsch proportioniert zu sein, und Tony hätte ihn am liebsten von der Seite betrachtet, um ihn besser erkennen zu können. Sein Kopf war viel zu groß für den Körper, seine Augen zu klein und sein Mund zu breit. Eine dicke Schicht Make-up bedeckte sein Gesicht wie eine fleischfarbene Paste.
»Mr. Spencer, wie schön, dass Sie mich in meiner bescheidenen Behausung aufsuchen. Ich bin für immer Ihr Diener.« Er lächelte unterwürfig. Seine Stimme klang dekadent und glatt wie Schokoladensirup. Während er sprach, verrutschte sein Make-up, löste sich aber nicht völlig von seinem Gesicht. Es bildeten sich kleine Risse und Löcher, und darunter kamen hässliche dunkle Beulen zum Vorschein. Tony spürte eine Welle der Arroganz, die geradezu übelkeiterregend war. Er hatte das Gefühl, einem vollkommenen Egozentriker gegenüberzustehen.
»Du musst Ego sein«, sagte Tony.
»Sie kennen meinen Namen? Nun denn: Ego zu Ihren Diensten.« Er verneigte sich tief. »Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen.« Dem Duo, das Tony hierher eskortiert hatte, warf er einen Blick kaum verhohlener Verachtung zu. »Euch zwei werde ich später belohnen «, knurrte er.
Die beiden duckten sich, schienen noch mehr zusammenzuschrumpfen. In Gegenwart ihres Herrn blieb nicht viel Großtuerei und Gebell übrig. Bei den Gebäuden versammelte sich eine kleine Schar merkwürdig aussehender Kreaturen und beobachtete ihn.
»Warum existierst du?«, fragte Tony.
»Nun, um Ihnen dabei zu helfen, richtige Entscheidungen zu treffen«, antwortete Ego. Etwas Schlaues, Verschlagenes blitzte in seinem ramponierten Gesicht auf. »Ich erinnere Sie daran, wie bedeutend Sie sind, wie unentbehrlich Sie für den Erfolg jener sind, die von Ihnen abhängen, und wie sehr diese Nutznießer in Ihrer Schuld stehen. Ich helfe Ihnen dabei, keine Beleidigung zu vergessen und keinen Fehler zu verzeihen, den andere zu Ihrem Schaden begangen haben. Meine Aufgabe ist es, Ihnen immer wieder ins Ohr zu flüstern, dass allein Sie derjenige sind, der in der Welt etwas zählt. Mr. Spencer, Sie sind ein sehr bedeutender Mann, und alle lieben, bewundern und respektieren Sie.«
»Das ist nicht wahr!«, entgegnete Tony heftig. »Und ich verdiene überhaupt keinen Respekt, keine Bewunderung.«
»Oh, Mr. Spencer, es schmerzt mich, Sie einen solchen Unsinn reden zu hören! Sie verdienen all das und noch viel mehr. Bedenken Sie doch, was Sie alles für diese Leute getan haben. Da ist es doch wohl das Mindeste, dass sie dankbar anerkennen, was Sie für sie leisten und geleistet haben. Das sind sie Ihnen einfach schuldig. Das ist nun wirklich nicht zu viel verlangt. Ein bisschen Anerkennung, weiter nichts. Ihre Angestellten würden auf der Straße stehen ohne Sie. Ihre Partner wären ohne Ihre überlegenen Fähigkeiten ganz schnell aus dem Geschäft. Und trotzdem reden sie hinter Ihrem Rücken über Sie und spinnen Intrigen, um Sie zu entmachten. Diese Leute verstehen Sie nicht. Sie haben keinen Sinn für Ihre großen Gaben. Es schmerzt mich, wenn ich nur daran denken muss!« Er legte die Hand auf seine riesige Stirn, als wäre er tödlich verletzt. Es sah bemitleidenswert und traurig aus.
Tony hatte diese Gedanken immer nur im Stillen gehegt, sie nie einem anderen Menschen anvertraut. Sie waren so beschaffen, dass sie einen sich selbst erhaltenden Kreislauf des Grolls und der Verbitterung in Gang setzten, der, wie Tony nun klar wurde, viele seiner Handlungen
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